Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

ONKEL PRÄSIDENT
(Friedrich Cerha)
27. Oktober 2014
(Premiere am 11. Oktober 2014)

Wiener Volksoper


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Geistreich witzige Selbstironie

In ihrem Alter hatte Verdi den Falstaff schon fertig, meint der Präsident in Lederhose und Trachtenjanker und legt das Fernglas weg. „Falstaff, etwas hoch gegriffen“, erwidert der Komponist nachdenklich, ebenfalls auf der Bank sitzend. Dann wird selbstironisch über die Oper und die Musikwelt räsoniert: „So kurz kann eine Oper gar nicht sein, dass sie zu lang ist.“ Und als der Präsident danach von seinem gestrigen Arbeitstag zu erzählen anfängt, beginnt sich der Komponist, der unschwer als das Alter Ego von Friedrich Cerha zu identifizieren ist, eifrig Notizen zu machen.

Mit diesem Prolog beginnt Onkel Präsident. Es ist Friedrich Cerhas neue Oper, die am 1. Juni 2013 am Münchner Staatstheater am Gärtnertor uraufgeführt wurde und jetzt am Wiener Volkstheater ihre erfolgreiche, österreichische Erstaufführung erlebt. Er gilt mit Stücken wie Baal, Rattenfänger, Der Riese von Steinfeld nach Peter Turrini als der österreichische Doyen der modernen Musik. Die Farce Onkel Präsident basiert auf dem Theaterstück Eins, zwei, drei von Ferenc Molnár aus 1929, das 1961 von Billy Wilder in Hollywood erfolgreich verfilmt wurde. Nun wurde es von Peter Wolf und dem Komponisten recht frei in ein neues, geistreiches, tiefgründiges, selbstironisches Libretto mit hohem Lachfaktor gepackt und eine Rahmenhandlung hinzugefügt.

Weil er ein Mädchen aus höheren Kreisen namens Melody Moneymaker, noch dazu die Tochter des amerikanischen Konzerneigentümers, geschwängert hat, muss aus dem revolutionären Fahrradboten Josef Powolny mit Rastalocken und Schlabbergewand binnen kürzester Zeit ein Mann von Welt, Geld, Stand und Adel gemacht werden. Onkel Präsident, Chef dieses Stahlkonzerns, dem sein eigenes Fortkommen und jenes der tausenden Bediensteten am Herzen liegt, nimmt sich der Sache in Rekordzeit und mit viel Stress erfolgreich an.

Wolf und Cerha haben kein altersmildes Werk geschaffen, sondern eine gallige, bitterböse Gesellschaftssatire, bei der die Macht des Geldes, das Ausnutzen von Netzwerken und die Machbarkeit von Karrieren angeprangert werden. Bei der aber auch die Boulevardpresse, die Kirche, die Medizin und das Wirtschaftsleben ihr Fett abkriegen.

Der in Echtzeit ablaufende Plot wird in einem modernen, eleganten mehrstöckigen Bürogebäude, das von Johannes Leiacker erdacht wurde, in heutigen Kostümen von Marie-Luise Walek in mehreren Ebenen mit größter Rasanz abgespult. Dafür sorgt Josef Ernst Köpplinger, Intendant des Staatstheaters am Gärtnerplatz, das auch als Koproduzent auftritt. Von den zahlreichen Nebenhandlungen, etwa ein ständig Fische fütternder Sekretär im ersten Stock, den Gags und Slapsticks, der Präzision in der Personenführung, den unendlichen Details, worin er sich wieder als Meister erweist und worin man ihn vor München auch am Stadttheater Klagenfurt vier Jahre lang als Intendant und Regisseur schätzte, wird man atemlos mitgerissen.

Renatus Mészár in der vokal stark fordernden Titelrolle trägt den Abend mit seiner immerwährenden Bühnenpräsenz, mit Witz und Bravour seines gehaltvollen Baritons. Ihm zur Seite ebenfalls ein bewegungs- und spielfreudiges Team. Daraus ragen Julia Koci als verwöhntes US-Girl Melody mit flexiblem, höhensicherem Sopran wie auch David Sitka, als vom Rastaman zum braven bürgerlichen Jungen mutierender Fahrradbote Josef mit schlankem Tenor heraus. Bei den unzähligen kleineren Rollen stechen Thomas Sigwald als Golf-spielender Graf Schrullenhuf-Wullersdurff wie auch Marco Di Sapia als Generaldirektor Dr. Gefällig und bestechlicher Betriebsarzt Dr. Pillerl hervor.

Cerhas Musik ist geschmeidig expressiv, komplex, aber doch leicht fasslich, persiflierend, zitierend, humorvoll, bösartig, jazzig, populär und immer auf Textverständlichkeit bedacht, ohne sich anzubiedern oder zu verbiegen. Sie wird vom Volksopernorchester unter Alfred Eschwé, der auch immer wieder zu witzigen Dialogen mit der Bühne bereit ist, mit großer Souveränität, Exaktheit, Schattierungs- und Farbenreichtum interpretiert.

Und selbstironisch schließt sich der Kreis und lässt den vergnüglichen Abend enden, wenn wie zu Beginn der Komponist und der Präsident wieder auf der Bank sitzen und letzterer, bevor er einschläft, sagt: „Schreiben sie keine Oper mehr. Der Falstaff ist ja doch nicht zu übertreffen. Reisen sie, lesen Sie. Und vergessen Sie die Oper…“

Worauf das Publikum, das sich immer wieder königlich und lautstark amüsiert, im vollen Auditorium mit tosendem Applaus, in dem sich auch der wirkliche, mittlerweile 88-jährige Komponist befindet, reagiert, was bei einer modernen Oper keine Selbstverständlichkeit ist.

Helmut Christian Mayer







Fotos: Barbara Pálffy