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Statische Bildermacht und beeindruckende Chöre
Voll Sehnsucht nach Freiheit und Frieden ist jene sehnsüchtige, innige Melodie, die zum Ohrwurm wurde: Va, pensiero – Flieg Gedanke … Der Chor der hebräischen Gefangenen avancierte binnen kurzem zur heimlichen Nationalhymne aller italienischen Patrioten gegen die Fremdherrschaft und wurde von einer vieltausendköpfigen Menge unter Leitung von Arturo Toscanini auch 1901 beim Begräbnis des Komponisten gesungen. Bei Nabucco von Giuseppe Verdi, seiner dritten Oper, mit der ihm der internationale Durchbruch gelang, ist auch der vielbeschäftigte Chor der eigentliche Protagonist der Oper. Dieser singt am Teatro Verdi beeindruckend, makellos und homogen in der wunderbaren Einstudierung von Alberto Macrì.
Wuchtig, archaisch wirkt der graue Einheitsraum mit seinen kleinen Öffnungen wie ein Bunker. Tote hängen verkehrt von der Decke, als topaktuelle Anspielungen und Symbole auf politische und religiöse Verfolgung und unmenschliche Intoleranz. Mit raffinierten Lichtstimmungen und Nebel versteht man grandios zu visualisieren, und es werden effektvolle, ungemein ästhetische Bilder und Auftritte erzeugt. Nur, Ausstattungsregisseur Stefano Poda, den wir schon aus Puccinis Tosca am Stadttheater Klagenfurt 2012 kennen und der im selben Jahr auch Donizettis Maria Stuarda am Opernhaus Graz wirkungsvoll in Szene gesetzt hat und der im Sinne eines Gesamtkunstwerks – Eigendefinition – auch das Licht betreut , vertraut zu sehr auf diese Bildmächtigkeit und vernachlässigt völlig die Personenführung. So sieht man in dieser Koproduktion mit Padua und Bassano del Grappa hauptsächlich wunderbar ästhetische Tableaus. Irgendwelche Schlüsselszenen wirken überhaupt nicht, weil sie einfach nicht inszeniert sind. Beispielweise passiert, wenn Nabucco sich in bereits geistiger Umnachtung selbst zum Gott erklärt, einfach gar nichts. Meist wird bloß herumgestanden und herumgeschritten. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, dass die Sänger großteils nach ihrem Gutdünken agieren.
Diese sind von höchst unterschiedlicher Qualität: Marina Comparato ist eine innige Fenena mit schönen, ungefährdeten Höhen. Ernesto Morillo singt den Hohepriester Zacharias stimmgewaltig und präsent. Mit großer dramatischer Attacke singt Tiziana Caruso die expressive und mörderische Partie der Abigail. Es mangelt ihr aber an Feinheiten. Mikheil Sheshaberidze ist ein blasser Ismaele mit kleinem Tenor. Sergio Bologna ist ein wenig bühnenpräsenter Titelheld, der in den Lyrismen mit schönem Bariton überzeugt, aber bei dessen Forte-Stellen immer wieder Intonationsmängel hörbar werden. Weiters bringt er wenig glaubhaft die geistigen Verwirrungen des Königs über die Rampe.
Der zweite Star des Abends ist Giampaolo Bisanti und das Orchester des Teatro Verdi. Es gelingt dem energiegeladenen und beinahe jeden Einsatz zeigenden Maestro, Verdis draufgängerische jugendliche Vitalität wie auch viel Dynamik und Spannung im Orchester packend auszureizen und glutvoll zu zünden, ohne die Sänger zuzudecken.
Am Ende gibt es starken aber nur relativ kurzen Applaus im bei weitem nicht vollen Haus.
Helmut Christian Mayer
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