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Träume aus Licht
Im Sommer zieht es das Nordharzer Städtebundtheater ins Freie. Dann gibt es im Rahmen eines Festivals unter anderem Aufführungen im Bergtheater Thale. Das 1903 von Ernst Wachter gegründete Freilichttheater auf dem Hexentanzplatz im Harz gilt als eines der ältesten Naturtheater Deutschlands. Phantasie braucht man eine Menge, um sich mit weitem Blick auf das Harzvorland und die felsige Kulissenfront des Harzer Bergtheaters die Schauplätze des dramatischen Geschehens in Hollywood vorzustellen: Die Studios von Paramount mit Filmset, Schwab`s Drugstore und die Villa des in der Vergangenheit lebenden, alternden Stummfilmstars Norma Desmond, die in ihrer Film-Vergangenheit in ihrem Palast der Erinnerung, der Käuflichkeit, Vergesslichkeit und tödlichen Illusion als Diva in Glanz und Glamour lebt und dabei nicht erkennt, dass diese Welt ein Trugbild ist. Dem Inszenierungsteam um Holger Potocki gelingt es, die Phantasien der Zuschauer unter den gegebenen Bedingungen des felsigen Bühnenareals in beeindruckenden Szenen zu bedienen. Potocki konzentriert das Spiel sehr stark auf die vier Hauptpersonen: Norma Desmond, Joe Gillis, Betty Schaefer und Max von Mayerling. Und so, wie Webbers Musik eine dramatische Dichte hat, die die Charaktere psychologisch prägnant zeichnet, so spannend bis zum tragischen Showdown inszeniert der Regisseur die Geschichte. Dabei bedient er sich im schnellen Wechsel der Szenen, dem Hin und Her zwischen den beiden Ebenen der Handlung: Scheinwelt der Filmdiva und die reale Welt von Joe, Betty und ihren Freunden der Technik des Filmschnitts. Das wird wirkungsvoll dadurch unterstrichen, dass Joe Gillis als Erzähler seiner eigenen Geschichte, die mit tödlichen Schüssen auf ihn aus dem Revolver von Norma Desmond endet, fungiert. Das Geschehen als effektvolle Rückblende. Das Bühnenbild von Bernhard Niechotz ermöglicht diesen eindrucksvollen Szenenwechsel. Durch Paravents, die blitzschnell in der Verwandlung aus der Filmkulisse der Paramounts-Studios die Villa von Norma Desmond mit einem Spielpodest im Fokus unzähliger Scheinwerfer als Schauplatz einer unwirklich gewordenen Filmvergangenheit und Schwab`s Drugstore entstehen lassen, wird das Ganze unterstützt. Und auch die Kostüme im Stil der 1940-er Jahre, vor allem aber die luxuriösen Roben der Norma Desmond, allesamt ebenfalls von Niechotz entworfen, sind eine Augenweide. Die Besetzung mit Cornelia Drese als Norma, Michael Rapke als Joe Gillis, Nina Schubert als Betty Schaefer und Norbert Zilz als Ex-Manager und Ex-Ehemann von Norma Desmond ist Erfolgsgarant dieser Inszenierung. Dazu mit großer Spielfreude, singend und tanzend Chor, Ballett und Statisterie des Nordharzer Städtebundtheaters.
Cornelia Drese ist eine echte Diva, die mit einer großen Bühnenpräsenz mit ihrer facettenreichen Stimme und noch mehr mit ihrem sehr differenzierten, emotional berührendem Spiel gefangen nimmt. Ihr Song Ich schenk` der Welt Träume aus Licht fasziniert in der auch sängerischen Theatralik ebenso wie bei ihrer Rückkehr nach Jahren in das Paramount-Studio das Lied Als hätten wir uns nie Goodbye gesagt. Voller Spannung sind die Szenen mit Rapke als Gigolo, der das verlogene Hin und Her zwischen der sich nach Liebe und Erfolg sehnenden Diva und der Zuneigung zu der jungen Betty beeindruckend spielt. Mit dem Titelsong Sunset Boulevard, Sunset Boulevard sorgt er für einen der vielen musikalischen Höhepunkte der Aufführung. Vor allem im zweiten Teil hat Nina Schubert als Betty im emotionalen Ringen um die Zuneigung Joe Gillis starke Momente. Mit Noblesse spielt Norbert Zilz den Diener Max, der in seinem berührenden Lied Sie war eine Göttin die ganze Tragik der Lebenslüge von Norma Desmond beschreibt.
Florian Kießling hat die musikalischen Fäden der Aufführung unter den Bedingungen der Freilichtbühne bestens in der Hand. Mit dem Orchester des Nordharzer Städtebundtheaters gelingt ihm der Wechsel zwischen den beiden Ebenen der Handlung, besonders die reale Welt von Joe und seinen Freunden mit jazzigen Big-Band-Klängen. Und der letzte Auftritt der gebrochenem Norma, die Joe erschoss und sich im Wahn den Reportern und Fotografen noch einmal als Star präsentiert, wird auch musikalisch zum großen Finale dieser beeindruckenden Freilichtinszenierung.
Langanhaltender Beifall, viel Szenenapplaus nach jedem Lied: Ein Hauch von Hollywood in 800 Metern Höhe und ein Musical-Erlebnis, dem man viel Publikumszuspruch wünschen kann.
Herbert Henning
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