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Fakten zur Aufführung 

FIDELIO
(Ludwig van Beethoven)
18. April 2015
(Premiere)

Salzburger Landestheater


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Brutale Zeitlosigkeit eines aktuellen Themas

Die Stricke sind überall. Zuerst noch dezent wenige, grenzen sie die Spielfläche wie einen Boxring von dem omnipräsenten, außen sitzenden Chor ab. Dann werden es ständig mehr, auch von oben herab gespannt, bis sie sich zu einem großen Gebilde verdrehen, das große ästhetische Wirkung erzeugt und in dem heillos verstrickt Florestan seine große Arie im Kerker singt. Das sparsame, reduzierte und klare Bühnenbild von Heinz Hauser macht am Salzburger Landestheater in Ludwig van Beethovens einziger Oper Fidelio großen, symbolhaften Eindruck, wo man sonst im kalten, nüchternen Raum mit einigen wenigen Stühlen auskommt.

Bei weitem nicht so klar erzählt Andreas Gergen die Geschichte der großen Revolutions- und Freiheitsoper, die er ins Heute verlegt, um die Zeitlosigkeit des Themas, das tatsächlich seit mehr als 200 Jahren nichts von seiner politischen Aktualität verloren hat und die Anpassungsfähigkeit und Skrupellosigkeit so mancher Politiker zeigt, die Gefangene aus politischen Gründen willkürlich einsperren, foltern und töten lassen. Und er lässt die Botschaften des Werkes, über die Befreiung von Unterdrückung und den Triumph der Menschlichkeit stark relativiert ausklingen.

Offenbar als Rückblick oder als Traum der zu Beginn am Boden liegenden Leonore gedacht, werden alle Dialoge nicht live gesprochen, sondern wie von einem Tonband über einen Lautsprecher abgespielt. Leonore zeichnet die Umrisse eines getöteten Menschen, es ist offensichtlich Florestan, wie bei einer Tatortaufnahme mit weißer Farbe auf den Boden, was über Videoprojektionen zu erkennen ist. Denn kurz vorm Finale verpasst Pizarro dem Florestan noch eine Giftspritze, woran dieser dann doch stirbt, obwohl sein Tod nicht gezeigt wird. Wie überhaupt der selbst inszenierende Operndirektor des Hauses vor verstörend brutaler Gewalt nicht zurückschreckt. Die Gefangenen in weißer Unterwäsche werden ständig zu Putzarbeiten herangezogen und von Aufsehern mit Schlagstöcken und Fußtritten malträtiert. Dabei tut sich besonders Jacquino hervor, vielleicht auch aus Frust, dass er von seiner Marzelline nicht erhört wird. Er überschüttet sie mit Säure oder foltert sie psychologisch mit Scheinerschießungen oder erschießt gleich mehrere Häftlinge so zwischendurch und kurz vor Erscheinen des Ministers und zuletzt auch gleich noch Pizarro. Aber auch Rocco versprüht einmal Giftgas und zieht den Toten darauf das Geld aus der Tasche und mit einer Zange auch gleich deren Goldzähne. Nicht nur mit diesem unerwarteten, völlig anderen Ausgang ohne Happyend, dem Tod des Florestan, sondern mit seiner insgesamt drastischen und durchaus neuen Sichtweise verblüfft Gergen das Publikum.

Von den stimmlichen Leistungen kann man überwiegend beeindruckt sein: Ein Prüfstein für alle dramatischen Soprane ist die Rolle der Leonore. Sinead Mulhern bewältigt beinahe alle hohen Anforderungen dieser diffizilen Partie, weiß mit ihrem kraftvollen, teils tremoloreichen Sopran mit dramatischer Attacke zu beeindrucken. Voluminös und mit tollen Höhen, aber nicht immer ganz unangestrengt, singt das langjährige Ensemblemitglied des Hauses Franz Supper die mörderisch schwere Rolle des Florestan und hat somit endgültig einen Fachwechsel vollzogen. Warm und weich erklingt der Rocco des Stephen Bronk. Adrian Gans ist auch darstellerisch ein widerwärtiger Don Pizarro, der allerdings die Partie im Einheitsforte singt. Fein erklingt der lyrische Sopran der Laura Nicorescu als Marzelline, geschmeidig der Jaquino des Kristofer Lundin, tadellos ist der Don Fernando des Simon Schnorr. Stimmgewaltig und meist homogen singt der Chor des Hauses, der von Stefan Müller einstudiert wurde.

Aus dem Graben hört man eine sensible, aber auch erregte Interpretation. Sängerfreundlich, akzent- und farbenreich musiziert das Mozarteum-Orchester unter Adrian Kelly, wobei auf die traditionell vor dem letzten Bild üblicherweise musizierte Leonoren-Ouvertüre verzichtet wird.

Dem Publikum hat es überwiegend gefallen. Es spendet starken Applaus, nur von einigen, wenigen schüchternen Buhs für die Regie durchmischt.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Anna-Maria Löffelberger