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Fakten zur Aufführung 

DIE EROBERUNG VON MEXIKO
(Wolfgang Rihm)
1. August 2015
(Premiere am 27. Juli 2015)

Salzburger Festspiele,
Felsenreitschule


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Praller Geschlechterkampf

So hat man sich Die Eroberung von Mexico eigentlich nicht vorgestellt. Statt der erwarteten grausamen Episode aus der Weltgeschichte erlebt man den ständigen Kampf zwischen Mann und Frau, einen Geschlechterkampf und den ziemlich prall! Aber genau so kann man das Libretto des Komponisten Wolfgang Rihm, Jahrgang 1952, der zu den am meisten aufgeführten lebenden Tonschöpfern zählt, deuten. Denn das Textbuch basiert auf einem Theaterentwurf des französischen Surrealisten Antonin Artaud, der über keine herkömmliche Handlung verfügt und so auch nicht über die Taten des spanischen Conquistadors Hernan Cortés und der Ermordung des Aztekenhäuptlings Montezuma erzählt. Es geht darin vielmehr um das Aufeinanderprallen fremder Kulturen, verkörpert durch einen Mann, eben Cortez, und einer Frau, die Montezuma darstellt.

1992 als Beitrag zum Columbus-Jahr für die Hamburgische Staatsoper geschrieben, wurde die Oper nach der dortigen Uraufführung mittlerweile etwa auch in Innsbruck, Nürnberg, Münster oder zuletzt 2013 am Teatro Real in Madrid im Abschlussjahr der Intendanz Gerard Mortier realisiert, wo auch der Chor aufgenommen wurde, der diesmal in Salzburg punktgenau eingespielt wird. Bei den diesjährigen Festspielen, die damit eine Lücke füllen, denn die als Uraufführung vorgesehene Oper Fin de partie von György Kurtág harrt immer noch der Vollendung, liegt nun bereits die zehnte Inszenierung  dieses Musikdramas vor, was für dessen Qualität und Akzeptanz auch beim Publikum spricht.

Und diese macht Peter Konwitschny, der mit 70 Jahren sein spätes Festspieldebüt feiert, was auch nur zustande kam, weil der ursprünglich vorgesehene Regisseur Luc Bondy abgesprungen ist,  dank handwerklicher Meisterschaft und famosen Einfällen zu einem packenden Ereignis: Orangefarbenes Licht lässt die Gesichter der eintretenden Zuhörer bleich und fahl aussehen. Das Bühnenbild und die Kostüme stammen von Johannes Leiacker. Auf einem Autofriedhof, auf dem die Scheinwerfer der Wracks unheimlich leuchten, über den die Protagonisten die Bühne betreten müssen, thront ein modernes, schickes, weißes Zimmer. Hier hat eine Frau, es ist Montezuma, ein bevorstehendes Date. Nervös nestelt sie an ihrer Bluse, legt nochmals Hand an Tisch und Teppich. Der mit einem eleganten Anzug bekleidete Mann, es ist Cortez, klettert über die Autowracks mit einem Rosenstrauß, ebenfalls nervös hin- und hergehend, zögert, ob er überhaupt die Wohnung betreten soll und hat ständig die Uhr im Auge. Dann im Zimmer möchte sie Kaffee servieren. Er will gleich zur Sache kommen und bedrängt sie sexuell immer brutaler. Aus dem Publikum tönen plötzlich Rufe. Über das gesamte Auditorium der Felsenreitschule verteilte Männer in Smokings, es ist ein Bewegungschor, schreien lautstark, klettern über die Brüstung und eilen zur Bühne: Voyeuristische, kollektive, teils brutale Sexspielchen beginnen. Dazwischen fährt Cortez noch mit einem roten Sportwagen vor, was das Götzentum des Goldes symbolisieren soll. Nur das Gemälde Der verwundete Hirsch von Frida Kahlo im Zimmerund der oftmalige Tequila-Konsum gemahnen an Mexiko, das sich hauptsächlich in den Köpfen der Protagonisten abspielt. Hier bringt auch die mittlerweile schwanger gewordene Montezuma unter Gelächter des Publikums Laptops und Tablets zur Welt, auf denen dann mittels Videoprojektionen gängige Videospiele und auch Kriegsmassaker von allen Anwesenden mit großer Verbissenheit gespielt werden. Montezuma eilt mit seinen zwei Begleiterinnen durchs Publikum. Totales Theater ist es, was uns Konwitschny hier wieder einmal bietet.

Die Sänger leisten ausnahmslos Großartiges und sind auch Darsteller ersten Ranges: Angela Denoke, die den Montezuma 1993 schon in Ulm gesungen hat, spielt und singt die Rolle expressiv und bewältigt alle extrem geforderten Intervalle und Höhen mit Bravour. Bo Skovhus als Cortez steht ihr in nichts nach und ist ebenfalls phänomenal gut. Als Zusatzstimmen beeindrucken die extrem hohe Sopranistin Susanna Andersson wie auch die unglaublich tief singende Altistin Marie-Ange Todorovitch sowie auch Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz als flüsternde, stöhnende, hechelnde, zischende und schreiende Sprecher.

Wolfgang Rihm, von dem bereits 2010 hier bei den Salzburger Festspielen die Oper Dionysos erfolgreich uraufgeführt wurde, schafft mit seiner starken, mitreißenden Rhythmik, seinen teils expressiven Klangflächen mit extremen Stimmungsbrüchen eine sensitive, starke Atmosphäre, die nur in ihren ständigen  Repetitionen fallweise etwas zu lange und unveränderlich klingt. Dem großbesetzten, mit Akribie und höchster Konzentration musizierenden ORF-Radio- Sinfonieorchester Wien unter dem souveränen und präzisen Ingo Metzmacher, der auch die Uraufführung 1992 in Hamburg dirigierte, gelingt es, mit der Verteilung im Graben, zwei Geigern auf der Bühne und mehreren Klanginseln im Auditorium, einen tollen Raumklang und große Emotionen zu erzeugen.

Die Publikumsreaktionen sind überraschend heftig positiv. Einen solchen, uneingeschränkten Jubel erlebt man bei zeitgenössischen Werken selten. Die Salzburger Festspiele haben damit einen fulminanten Start im Bereich des Musikdramas hingelegt.

Helmut Christian Mayer

 

Fotos: Monika Rittershaus