Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

NABUCCO
(Giuseppe Verdi)
3. Juli 2015
(Premiere)

Passionstheater Oberammergau


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Passionierter Kunstgenuss

Ausm Dorf heraus“ sollte diese Musikproduktion entstehen, und dafür trafen sich an die 170 Sänger verschiedener Chöre und Gäste aus München und Augsburg, um Verdis größte Choroper aufzuführen. Die Regie übernimmt wie üblich der künstlerische Leiter Christian Stückl. Der Intendant des Münchner Volkstheaters leitet seit bald zwanzig Jahren die Geschicke des kunstlieben Ortes. Zwei Passionen, das Religionsschauspiel alle zehn Jahre, hat er inszeniert und füllt die beeindruckende Veranstaltungshalle seither in den Zwischenjahren mit epochalen Theaterproduktionen. Nun also die erste Oper. Die Entscheidung für Nabucco macht Sinn. Der religiöse Stoff, das Szenario und die Chorpartien kommen den Oberammergauern passend entgegen.

Stückl tappt dabei nicht in die Klassikfalle, sondern schafft einen zeitlosen, aufwändigen Nabucco, der bewusst und klug mit Anachronismen spielt. Immer wieder lässt Stückl dabei die Geschichte(n) kollidieren. Zur Ouvertüre kicken die Gefangenenkinder verspielt über die ausladende Bühne, doch die fröhliche Szene endet in Gewalt und Mord. Die Zeit der glücklichen Vergangenheit der Hebräer scheint vorbei zu sein. Doch auch Nabucco hat sich und sein fragiles familiäres Machtgefüge überlebt. Ein gigantischer Feuerball treibt ihn in den Wahnsinn. Das Steckenpferd eines Knaben als Gottesmetapher heilt ihn, und am Ende sorgt er allein für Abigailles Tod, der er Krone und Macht erneut entziehen muss.

Die Hebräer sind als moderne Flüchtlinge in an Journalistenbilder erinnernde Turbane und Kutten gehüllt. Bewacht werden sie von Wüstensoldaten in detaillierten Militäroutfits samt der Milizenführerin Abigaille, die erst später ins antike Kostüm zurückkehren wird. Denn in diese Stimmung moderner Gewalt und Vertreibung reitet der im klassischen Ornat prunkende Nabucco, aus der Zeit gefallen und am Thron hängend. Stefan Hageneiers kluge Kostümregie stellt aktuelle Konflikte den biblischen Machtsymbolen gegenüber. Die symbolische Krone Nabuccos doppelt sich in den Kalaschnikows seiner Söldner. Die fest installierte Passionsbühne wird durch zurückhaltende Säulenkonstruktionen und Sandflächen ergänzt, die vor allem durch Günther E. Weiss‘ stimmungsvolle Lichtregie punktet. Letzte Sonnenstrahlen durch die offene Freilichtkuppel wirken hier ebenso wie die bedrohlich bläuliche Nachtstimmung. Freilich ist trotz überdachter Zuschauerränge das Wetter hier ein Glücksfall gewesen.

All das sieht nach großer Oper, nach Bibelfilm und nach Passionszauber aus. Stimmlich füllen diesen Zauber die „Auswärtigen“, die Sängergäste, wie Stückl sie in seiner Begrüßung nennt. Irina Rindzuner kennt und lebt ihre Abigaille. Sie erschreckt mit kalter Berechnung und sichtbarer, wenngleich fragiler Machtgier. Stimmlich gewachsen, muss sie zwar in der Höhe haushalten, um nicht zu schrill zu werden, füllt aber mit reifem, hellem und hörbar geführten Sopran die Rampe. Kraftvoll, stimmgewaltig und vor allem im Forte zufrieden donnert Evez Abdulla in der Titelpartie, wobei ihm die Wahnsinnsszene und das Abgründige dieses traurigen Königs sichtbare Freude bereitet. Solide, hoch und dosiert lässt Attilio Glaser seinen Ismael tenoral glänzen, muss dabei aber ebenso wie die Fenena von Virginie Verrez Striche in Kauf nehmen. Zu ihrer Rolle fiel Stückl wenig ein, lässt sie hauptsächlich verhaftet leiden und gönnt ihr erst zur Abschiedsarie die Bühnenmitte. Diese aber nutzt Verrez als Debütantin mit viel Gefühl, lyrischem Klang und schönen Schnörkeln, die zu weiteren Verdi-Premieren bitten.

Aus dem Graben hört man Ainars Rubikis mit der neuen Philharmonie München. Das sehr junge Orchester, zumeist aus Studenten rekrutiert, schafft schöne und langsame Verdi-Momente. Die Ouvertüre noch verhaspelt, die Chorpassagen sinnvoll begleitet, darf hier ein junges und ambitioniertes Orchester Festspielerfahrung sammeln. Die „Banda“ aus oftmals auch einheimischen Musikern des Passionsorchesters unterstützen den Graben in der Bühnenmusik.

Kern und Freude dieses außergewöhnlichen Opernabends aber ist freilich der zahlenmäßig große Chor. Man kann nicht mehr von Laienensembles sprechen in diesem Landstrich, der durch Passion und Kunstliebe so viele Sänger und Musiker bildet. Musiklehrer, Instrumentalisten und Schauspieler singen und agieren hier. Der langjährige Musikchef der Passion, Markus Zwink, führt die Ensembles zusammen und erzeugt einen klingenden, gut einstudierten und vollmundigen Verdi-Sound, der für Begeisterung sorgt. Nebenbei singt der Chorleiter noch mit und schafft einen Projektchor, der hoffentlich noch weitere Produktionen singen wird. Man kann Oberammergau eine Festspielzukunft auch im Musiktheater nach diesem grandiosen Start nur wünschen. Ausm Dorf und fürs Dorf jubelt das Premierenpublikum mit nahezu 2800 begeisterten Zuschauern. Die vielen Opernnovizen, die zuvor in Tracht und Sommergarderobe durch das kunstsinnige Dorf streifen, stehen alle beim Applaus und bitten Stückl indirekt und voller Überzeugung, das Musiktheater in Oberammergau weiterzuführen. So sei es.

Andreas M. Bräu

 

Fotos: Arno Declair/Andy Stückl