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Fakten zur Aufführung 

CARMINA BURANA
(Robert North)
13. Juni 2014
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach,
Theater Mönchengladbach


Points of Honor                      

Musik

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In aller Schönheit

Sagen wir mal so: Hin und wieder muss auch im Musiktheater ein Stück naive, heile Welt erlaubt sein. Und wenn diese These stimmt, hat Robert North mit der Neufassung seiner Carmina Burana einen großartigen Abend abgeliefert. Bereits 2006, so erzählt er, hat er die Choreografie im türkischen Antalya mit 40 Tänzerinnen und Tänzern erstmals aufgeführt. Jetzt hat der Ballettchef des Theaters Krefeld Mönchengladbach diese Fassung auf die häuslichen Gegebenheiten angepasst. Das Corps ist um die Hälfte reduziert. Ansonsten zeigt er Größe: Das Orchester in umfangreicher Besetzung, 80 Choristen sowie ein Kinderchor gestalten den musikalischen Rahmen.

Udo Hesse bereitet eine Bühne, die ein Raunen der Bewunderung im Publikum auslöst, als der rote Flattervorhang nach oben gezogen wird. Der Graben ist abgedeckt und dient als Tanzfläche. Dahinter schließt sich ein Podium an, auf dem das Orchester und in dessen Rücken die Chöre Platz finden. Über dem Podium bilden zwei Wolkenbilder einen geschmackvollen Himmel. Zunächst beeindruckt die Tiefe des Raums, in dem so viele Menschen Platz finden. Das eigentliche Kunststück, das Hesse so vortrefflich gelingt, liegt aber in der Ausgewogenheit der Akustik. Davon wird noch zu reden sein. Spannungsvolle Momente entstehen durch sein ausgeglichenes Lichtkonzept.

Im Sinne von North‘ Absichten hat Luisa Spinatelli kongeniale Kostüme geschaffen, wenn auch der Schwan dann endgültig ein wenig kitschig gerät, der mit gefiedertem Beinkleid und entblößtem Oberkörper tanzt. Tänzerinnen und Tänzer sind in helles Graublau mit braunen Applikationen gekleidet. In Verbindung mit den Accessoires wie Stirnbändern oder Kopftüchern entsteht der Eindruck „bäuerlicher Leichtigkeit“. Die Primaballerina steht mit ihrem roten Gewand stets im optischen Mittelpunkt – und so soll es ja auch sein. Denn Choreograf North hat zum „Chorwerk ohne Handlung“ eine Handlung oder mindestens einen roten Faden geschaffen. Mädchen und Junge lernen sich kennen und nicht zuletzt lieben. Während das „Liebespaar“ die konkrete Entwicklung erlebt, reflektiert das Corps die Auseinandersetzung der Geschlechter. Parallel wird das Glück eines einfachen dörflichen Lebens zelebriert. Auch Zitate aus den Carmina Burana wie Trinkgelage, der Festschmaus, der Abt oder der Mann in Schwarz finden in der Choreografie geschmeidig ihren Platz.

Tänzerisch ist der Abend sicher ein Erlebnis, wenn man von den archaischen Figuren und Konstellationen absieht, die zwar ebenfalls hervorragend getanzt sind, aber nicht jedem gefallen müssen. North sieht in seiner Choreografie zahlreiche synchrone Passagen vor, die in ihren gegenläufigen Bewegungen einen hohen Schwierigkeitsgrad ausweisen. Die werden vom Corps auf sehr hohem Niveau gezeigt. Im Pas de deux von Karine Andrei-Sutter und Alessandro Borghesani fehlt in der Choreografie die letzte Eleganz, was schade ist, weil beide tänzerisch begeistern. Ebenso wie ein durchgeistigter Paolo Franco, der das Fiederkleid des Schwans mit Würde trägt. Raphael Peter zeigt als Mann in Schwarz eine gelungene Ästhetik, auch wenn seine Rolle nicht so ganz klar wird. Ob man nun Handlungsballett mag, ist an diesem Abend nicht von Bedeutung. Die tänzerische Leistung überzeugt handwerklich wie ästhetisch.

Gleichfalls unbedeutend ist, dass die Beurer Lieder eigentlich als Chorwerk angelegt sind. North großes Verdienst ist, dass er ein Musiktheater zeigt, in dem Ballett, Chor, Solisten und Orchester vollkommen gleichberechtigt sind. Ein Ensemble, in das sich Chor und Extrachor des Theaters Krefeld Mönchengladbach in der wieder einmal großartigen Einstudierung von Maria Benyumova und der Mädchen- und Knabenchor der Chorakademie Kempen unter Leitung von David Nethen ganz wunderbar einfügen.

Die Solisten Sophie Witte, Frank Valentin und Tobias Scharfenberger sind als „Konzertsänger“ positioniert, können sich so ganz auf den Gesang konzentrieren und liefern ein, ja, perfektes Klangbild ab. Musikalisch hat der Abend eine Qualität, die sich für eine CD-Aufnahme geeignet hätte.

Dafür trägt in erster Linie Alexander Steinitz die Verantwortung. Mehrfach ist Steinitz ja bereits in der Vergangenheit positiv aufgefallen. Hesse hat ihm eine Bühne der akustischen Ausgewogenheit geschaffen, und der Dirigent nutzt das bis auf das i-Tüpfelchen aus. Unaufgeregt, aber hoch konzentriert lässt er die Niederrheinischen Sinfoniker einen Orff spielen, der weder martialische Spuren noch einen Hang zur Beliebigkeit aufweist. Unter Idealbedingungen hat der Erste Kapellmeister gleichermaßen Chor, Orchester und Solisten im Blick. Da entsteht ein Klang, den man in solcher Harmonie, Transparenz und Überzeugungskraft nicht jeden Tag hört.

Das Publikum ist von dieser musiktheatralischen Kombination hingerissen. Hält es sich in der ersten Hälfte des Abends noch zurück, werden in der zweiten Hälfte einzelne Tanzszenen beklatscht und mit „Bravo“-Rufen versehen. Am Ende der einstündigen Aufführung gibt es zehnminütige stehende Ovationen – und das, was einem jeden aufrechten Verfechter des Theatergeschehens einen Schauder des Entsetzens über den Rücken treibt: „Oh, wie schön“, sagt das Publikum.

Michael S. Zerban

Fotos: Matthias Stutte