Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

THE PHANTOM OF THE OPERA
(Rupert Julian)
14. August 2015
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Krefelder Pferderennbahn

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Große Sinfonie unter freiem Himmel

Erst war es eine viel belächelte Idee, inzwischen hat es sich zu so etwas wie einer eigenen Kunstform entwickelt: Orchester spielen die Musik zu Stummfilmen live, während der Film – oft in einer aufwändig restaurierten Version – auf einer Kinoleinwand gezeigt wird. Jetzt kommen auch die Krefelder in den Genuss einer solchen Veranstaltung. Die Stadtwerke haben ein Open-Air-Kino auf der Pferderennbahn der Stadt eingerichtet. Vor der überdachten Tribüne ist eine etwa zwölf mal zehn Meter große Leinwand aufgebaut. Umfangreiche Tontechnik sorgt für brillanten Klang vor der malerischen Kulisse der Rennbahn.

Gemeinsam mit den Niederrheinischen Sinfonikern, dem Orchester des Theaters Krefeld Mönchengladbach, bringt das Open-Air-Kino den Stummfilm-Klassiker The Phantom of the Opera in der vollständig restaurierten Referenz-Verfilmung von 1925 auf die Leinwand. Für zwei Abende wurde eigens eine überdachte Bühne neben der Projektionsfläche aufgebaut, auf dem die etwa 60 Musiker der Niederrheinischen Sinfoniker mit ihren Instrumenten und einer aufwändigen Mikrofonierung Platz finden.

Vom 23. September 1908 bis zum 8. Januar 1910 erschien in der Zeitung Le Gaulois der Fortsetzungsroman Le Fantôme de l’Opéra von Gaston Leroux. Eigentlich war es nicht mehr als eines der üblichen Schauermärchen, die sich zu dieser Zeit großer Beliebtheit beim Publikum erfreuten. Und, wie man heute weiß, nicht nur im Fin de Siècle. Das Phantom der Oper entwickelte sich bis in die Gegenwart zu einem der beliebtesten Stoffe für Bühne, Film und Video. Bereits 1915 entstand die erste Verfilmung in Deutschland. Als gelungenste Version wird allerdings der Film von Universal Studios aus dem Jahr 1925 betrachtet. In der Hauptrolle Lon Chaney, eine der ganz großen Berühmtheiten der Stummfilm-Ära. Der Mann „mit den 1000 Gesichtern“ schreckte vor keiner noch so umfangreichen Maske zurück. Seine Verkleidung als Glöckner von Notre Dame in der Verfilmung von 1923 wurde Legende. Zwei Jahre darauf wurde aus seinem Gesicht die totenkopfähnliche Fratze des Phantoms, die der Beschreibung des Romans am nächsten kam. Neben diesen Verfremdungseffekten wurde Chaney vor allem deshalb berühmt, weil er den bis dahin möglichst schauerlich dargestellten Monstern eine neue Dimension verlieh, indem er sie als innerlich gequälte und groteske Persönlichkeiten interpretierte. Eine Darstellungsform, die ihre Wirkung noch nach 90 Jahren nicht eingebüßt hat.

Auch die Besucher der nahezu vollbesetzten Tribüne in Krefeld lassen sich trotz der typisch überdramatisierten Gesten und Gebärden der Stummfilmzeit, die heute einer unfreiwilligen Komik nicht entbehren, in den Bann des von Kindheit auf entstellten Erik ziehen, der nichts anderes als Liebe will und sie bei dem Chormädchen Christine Daaé sucht. Von Originalschauplätzen will zur Entstehungszeit des Films niemand etwas wissen. Es ist die Ära des großen Kulissenbaus. Und so wird die prachtvolle Opéra Garnier ebenso in Teilen nachgebaut wie das darunterliegende Labyrinth. Nämliche Kulissen waren so großartig, dass sie 18 Jahre später im Remake von Arthur Lubin wieder verwendet wurden.

Während sich die angekündigten Gewitter als Wetterleuchten am Horizont über den Baumspitzen verflüchtigen und so einen zusätzlichen Reiz schaffen, verfolgt das Publikum die Handlung auf der Leinwand so fasziniert, dass die Besucher nicht einmal mehr darauf achten, ihre Gläser ordentlich abzustellen. Mehrfach ist Klirren zu hören. Das allerdings liegt wohl weniger am streckenweise doch eher skurrilen Film als vielmehr an einer unglaublich überzeugenden Musikuntermalung.

Andreas Fellner treibt die Musiker der Niederrheinischen Sinfoniker zu Höchstleistungen an. Verstärkt durch die Mikrofone entsteht so ein unverzerrter Sound, der dem eines Kinosaals in nichts nachsteht. Großes Lob auch an die Tontechniker, die hier wirklich ganze Arbeit geleistet haben. Die Filmmusik von Carl Davis spart nicht mit Zitaten von Richard Wagner, Hector Berlioz oder Charles Gounod und hält die Spannung locker über die rund 100 Minuten, die der Film dauert. Die wenigen verpatzten Einsätze sind wohl eher dem Umstand geschuldet, dass die Musiker keine Sicht auf die Leinwand haben und Fellner nur ein vergleichsweise kleiner Monitor zur Verfügung steht. Hier hätte ein Verrücken der Bühne auf 70 Grad zur Leinwand möglicherweise Wunder gewirkt. Haarspalterei. Insbesondere das raffinierte Spiel von Karsten Seefing an der Orgel trägt ungemein zur Wirkung des Abends bei. Wenn diese Aufführung das Versprechen für die kommende Spielzeit war, haben die Niederrheinischen Sinfoniker die Messlatte sehr hoch gehängt.

Das Publikum springt förmlich von den Sitzen, als auf der Leinwand das „Finis“ auftaucht. Tosender und so berechtigter Beifall für das Orchester. Ein Fan langer Stummfilme wird wohl keiner geworden sein; dafür hat das Orchester sicher einige Anhänger dazu gewonnen. Und dass man inzwischen schaut, ob denn dieser Fellner wieder am Pult steht, ehe man sich für den Besuch einer Vorstellung entscheidet, ist ja auch nicht selbstverständlich. Aber ein Pfund, mit dem das Theater Krefeld Mönchengladbach wuchern kann.

Michael S. Zerban

 





Fotos: Matthias Stutte