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Fakten zur Aufführung 

TOROBAKA
(Akram Khan, Israel Galván)
16. Juni 2015
(Gastspiel)

Schauspiel Köln


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Musik

Tanz

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Avantgardistisches Musiktheater mit Tradition

Es sind Tänze mit einer uralten Tradition: Der indische Kathak und der spanische Flamenco. Wie man damit ein junges Publikum begeistern will, scheint zunächst zweifelhaft. Also weg damit, ab in die Schublade. Eignet sich vielleicht noch als Folklore für abendliche Hotelveranstaltungen in Tourismus-Zentren. Weit gefehlt, sagen Akram Khan und Israel Galván und vereinen kurzerhand die beiden Tanzformen, um sie neu zu befragen und jungen Publika zu erschließen. Das Kölner Publikum jedenfalls ist mächtig gespannt und besetzt das Köln-Mülheimer Depot als interimistische Spielstätte des Kölner Schauspielhauses gleich mal bis auf den nahezu letzten Platz, um das Gastspiel zu erleben, das zuvor schon bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen für Begeisterung sorgte.

Khan und Galván haben sich in ihrer Choreografie auf ein weiteres folkloristisches Merkmal bezogen. Sie lassen die heilige Kuh Indiens gegen den spanischen Stier antreten. Daraus erklärt sich der scheinbar kryptische Titel der Aufführung. Toro steht für den Stier, Baka für die Kuh: Torobaka. Was die Tänzer daraus machen, ist avantgardistisches Musiktheater mit dadaistischen Anklängen. Michael Hulls zeichnet mit seinem Licht pinkfarbenes Rund auf den Bühnenboden und schafft damit die Arena, die er mit orangefarbenem Licht begrenzt. Ansonsten konzentriert er sich auf Verfolger, die die Protagonisten in Szene setzen. Die Kostüme von Kimie Nakano sind dunkel gebliebenes Understatement mit folkloristischen Anklängen und sorgen so für die Konzentration auf das Wesentliche.

Die Choreografie ist ein Vexierspiel beider Tanzformen. Weder der Flamenco noch der Kathak sind reine Tänze. Der ganzheitliche Körperausdruck steht im Mittelpunkt. Und dazu gehören nicht nur Schritte oder Handbewegungen, sondern auch Stimme und Rhythmus der Musik. Die Choreografen haben deshalb ihr Team erweitert. David Azurza präsentiert sich als Countertenor, der sich auch in tenoralen Lagen wohlfühlt. Altistin Christine Leboutte scheut nicht vor Höhen zurück. Bobote zeigt sich formvollendet als palmero, als Rhythmusgeber beim Flamenco – oder auch schon mal beim Kathak. B. C. Manjunath lässt die Live-Musik erklingen und bedient sich dazu überwiegend seiner Mridangam, einer zweifelligen Doppelkonustrommel. Außerdem bildet er mit stakkatohaften Gesängen und überschnellen gutturalen Lauten eine phänomenale Geräuschkulisse. Mit der Einspielung der Tanpura sorgt Pedro León als Tontechniker für das typisch indische Klangbild. So eindrucksvoll die Gesänge sind, so bedauerlich bleibt, dass es für den Besucher keinen Zugang zu den gesungenen Texten gibt. Weder Übertitel noch das schmale Programmheft bieten Ansätze.

Die Tänzer bleiben im Vordergrund. Stehen im ersten Bild noch beide barfüßig vor dem Publikum, haben Galván im letzten Bild die Stiefel und Khan die für den Kathak typischen Fußfesseln aus bis zu 150 Glöckchen angelegt. So rundet sich das Bild, während sich die Bewegungsmuster abschließend wiederholen.

Seit einiger Zeit scheint es beim Publikum, vielleicht verführt vom Klatschvieh im Fernsehen, Mode zu sein, die Lustigkeit in Inszenierungen zu entdecken. Da werden bei geringsten, scheinbaren Anlässen Lacher laut, die oft genug im Keim ersticken. So auch im Depot. Schließlich steht an diesem Abend nicht der Humor auf dem Spielplan, sondern die Erschließung neuer Welten. Und das ist mehr als gelungen. Der Reflex: Klatschen wir immer da, wo – vielleicht – möglich. Galván und Khan wirken dem mit ihrem Ensemble entgegen. Und ergeben sich nach ihrem Ausflug in eine fantastische, magische Welt gern gellenden Begeisterungspfiffen, stehenden Ovationen und lang anhaltendem Applaus.

Michael S. Zerban

 

Fotos: Jean-Louis Fernandez