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Fakten zur Aufführung 

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)
30. Mai 2014
(Premiere)

Semperoper Dresden


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Düsteres Seelendrama

Es ist schon eine außergewöhnliche Premiere an diesem Abend in der ausverkauften Semperoper Dresden, als Christian Thielemann den Orchestergraben betritt. Kein Wagner, kein Strauss steht auf dem Programm, sondern eines der düstersten und doch musikalisch farbenreichsten Werke von Giuseppe Verdi, sein so selten gespielter Simon Boccanegra, der sogar für bekennende Verdi-Enthusiasten eine Quelle neuer Entdeckungen sein dürfte. Man findet hier keine eingängigen Melodien wie in seinen großen bekannten Opern, und doch ist die Musik berührend und dramatisch zugleich. Es finden sich Anklänge an die zuvor komponierte La Traviata, aber auch schon musikalische Andeutungen an den Don Carlos, der nach der Überarbeitung des Simon Boccanegra entstand.

Auch ist die Handlung düster und nur schwer zugänglich. Im Genua des Jahres 1339 haben sich Maria, die Tochter der alteingesessenen Patrizierfamilie der Fiesco, und Simon Boccanegra, Korsar und Plebejer, ineinander verliebt. Marias Vater unterbindet die Beziehung, die gemeinsame Tochter wird von Unbekannten entführt. Zwanzig Jahre später lässt sich Boccanegra einzig deswegen zum Dogen der Seerepublik wählen, um so die Möglichkeit zu erhalten, Maria zu heiraten und die Familie zusammenführen zu können – doch Maria ist in der Zwischenzeit verstorben. Seinen Versuch, als Doge Frieden zwischen Genua und Venedig zu schaffen und den innerstädtischen Streit zwischen Patriziern und Plebejern zu schlichten, zudem aber auch für das Glück seiner wiedergefundenen Tochter Amelia zu kämpfen, die sich just in Gabriele Adorno, den Verbündeten seines Erzfeindes Fiesco verliebt hat, bezahlt Boccanegra mit dem Leben. Er wird von Paolo Albiani, einem Verräter aus seinem eigenen Lager vergiftet.   Es sind die drei Beziehungsebenen der Figuren untereinander, die dieses Werk charakterisieren. Simon und Fiesco, die Todfeinde; Simon und seine Tochter Amelia sowie Amelia und ihr Geliebter Adorno. Die Duette und Terzette untereinander sind die musikalischen Höhepunkte dieses Werkes. Mit dem sehnsüchtigen Wunsch nach Frieden endet Simon Boccanegra, die Geschichte eines schier unlösbaren Konfliktes, der Politisches und Privates unheilvoll miteinander verstrickt und auf beiden Seiten nur Opfer hinterlässt.

Nach dem Fiasko der Urfassung des   Simon Boccanegra  1857 in Venedig nahm sich Giuseppe Verdi das Werk erst über zwanzig Jahre später erneut vor und unterzog es einer grundlegenden Bearbeitung. Als Librettist stand ihm dabei der Dichter und Komponist des   Mefistofele, Arrigo Boito, zur Seite, mit dem er zu dieser Zeit bereits am   Otello  arbeitete. Mit der von Verdi selbst akribisch vorbereiteten zweiten Premiere 1881 an der Mailänder Scala wurde   Simon Boccanegra  dann endlich der große Erfolg.

Jan Philipp Gloger hat dieses Seelendrama für die Semperoper eingerichtet. Er lässt die traumatisch empfunden Verluste der einzelnen Protagonisten optisch auferstehen. Maria, die tote Geliebte Boccanegras, seine kleine Tochter Maria, und die alte Frau, bei der sie groß wurde. Auch Amelia sieht die Gespenster der Vergangenheit, genau wie Gabriele Adorno sich als kleinen Jungen an der Hand seines toten Vaters sieht, Begründung für den tiefen Hass auf Boccanegra. Diese Erscheinungen sind Gespenster, Dämonen, Obsessionen und Erinnerungen einer Vergangenheit und Gegenwart, die die Beziehungsgeflechte der Protagonisten charakterisieren und lenken. Diese Form der Inszenierung ist sicher nicht neu, aber bei diesem Werk durchaus nachvollziehbar, weil es stark am Text angelehnt ist. Doch Gloger übertreibt es manchmal mit den Geistern, die er rief, da sie oft stärker im Ausdruck sind als die lebenden Protagonisten, und es für den Zuschauer oft den Eindruck erweckt, hier werden Zeit und Raum übereinander gelegt. Verstärkt wird der düstere Eindruck durch das Bühnenbild von Christof Hetzer, einem schwarzen, kubischen Bau im Bauhaus-Stil auf einer Drehbühne, der unterschiedlich dunkle Räume freigibt und die ganze Handlung ausschließlich in diesen einengt. Lediglich der Sitzungssaal des Dogen wirkt wie mit Blut bespritzt, eine interessante optische Metapher. Die Kostüme von Karin Jud vereinen Stile aus dem Genua des 14. Jahrhunderts über die Entstehungszeit des Werkes bis hin zu optischen Annäherungen an die heutige Zeit. Die Lichtregie von Bernd Purkrabek bringt punktgenau Helligkeit in das düstere und dunkle Geschehen, und verstärkt die Dramaturgie des Psychodramas.

Doch klar im Vordergrund stehen an diesem Abend die grandiosen Sängerdarsteller, die mit ihrer Leistung diese Premiere als Sternstunde adeln. Allen voran der Bariton Zeljko Lucic in der Titelpartie des Simon Boccanegra, den er im vergangenen Jahr bereits mit großem Erfolg an der Bayrischen Staatsoper gegeben hat. Seine Rolleninterpretation ist ein Seelendrama tiefster Verzweiflung. Lucic zeigt die Zerrissenheit des Dogen mit größter spielerischer Intensität und einem melancholisch schmeichelnden Bariton mit vielschichtiger Färbung, der eine enorme stimmliche und physische Präsenz ausstrahlt, und im ergreifenden Finale doch so weich und innig singt, dass es einem als Zuschauer den Atem raubt. Maria Agresta als seine Tochter Amelia beeindruckt mit einem brillanten lyrischen Sopran und klaren Höhen sowie durch eine hochklassige gesangliche Interpretation, die vor allem die seelisch schmerzvollen Akzente betont, ohne dabei sentimental zu wirken. Neben einem wunderbaren und technisch einwandfreien Piano bietet sie in den dramatischen Stellen leuchtende und klare Höhen. Ramón Vargas darstellerisch überzeugender Adorno besticht durch tenoralen Schmelz und Belcanto-Gesang, der sich vor dramatischen Ausbrüchen aber nicht scheut.

Kwangchul Youn als Jacopo Fiesco begeistert mit seinem durchdringenden, gewaltigen Bass, intensivem Spiel und verleiht der Figur einen aristokratischen und edlen Charakter. Eine wunderbare Stimmenharmonie bildet sich in den Duetten mit Lucics warmem Bariton; ihr großes Duett in der Schlussszene ist sängerischer Höhepunkt des Abends. Großartig auch Markus Marquardt als enttäuschter Verräter Paolo Albiani mit markantem Bass-Bariton und schwarzem Spiel, dem der Bass Andreas Bauer als intriganter Pietro mit schwarzem Bass und intensivem Spiel in nichts nachsteht. Der Chor, hervorragend einstudiert von Björn Hinnerk Andresen, ist in den wenigen Chorszenen stimmlich und schauspielerisch voll präsent.

Die Sächsische Staatskapelle Dresden bietet einen musikalisch anspruchsvollen Verdi an, farbenreich, nuanciert, mit Fokus auf die melodramatischen Momente. Und mittendrin Christian Thielemann, der Fels in der musikalischen Brandung. Er konzentriert sich auf die Sänger, stellt sie in den Vordergrund, das Orchester ist in diesen Momenten dienende Begleitung, ohne die Dramatik der Orchestrierung dabei zu vernachlässigen. Und so wird dieser Verdi auch musikalisch eine ganz neue Erfahrung. Dass Thielemann ein versierter Fachmann in Sachen Wagner und Strauss ist, muss nicht wiederholt werden. Aber seine Verdi-Interpretationen, wie zuletzt im Requiem in der Frauenkirche, kennzeichnen fassbare musikalische Spannung und Dramatik.

Das Premierenpublikum nimmt das Werk mit großem Applaus und Jubel auf, den vor allem Lucic, Youn und Agresta verdientermaßen in Empfang nehmen dürfen. Als Thielemann vor den Vorhang kommt, erhebt sich das Premierenpublikum. Eine größere Verbeugung gibt es nicht als Anerkennung für einen großartigen musikalischen Abend. Das Regieteam wird mit freundlichem Applaus bedacht, trotz der Düsternis auf der Bühne und der manchmal übertriebenen Präsenz der Seelengeister gibt es keinen im Publikum, der diesen Ansatz missbilligt. Und so ist dieses düstere Seelendrama zu einem Ereignis geworden, über das man in Dresden und darüber hinaus reden wird.

Andreas H. Hölscher

 



Fotos: Matthias Creutziger