Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

PENTHESILEA
(Pascal Dusapin)
31. März 2015
(Uraufführung)

La Monnaie, Brüssel


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Liebe als „Krankheit zum Tode“

Heinrich von Kleist und Anton Tschechow üben eine starke Anziehungskraft auf Musiker aus, obwohl kaum eine Vertonung ihrer Stücke bisher voll überzeugen konnte, und die Werke folgerichtig auch nur eine geringe Verbreitung gefunden haben. Das schließt sogar erfolgreichere Arbeiten wie Henzes Prinz von Homburg oder Othmar Schoecks Penthesilea ein. Der spezifische Klang und Rhythmus ihrer Sprache sind so empfindlich, dass Musik fast zwangsläufig zu einer Vergröberung oder einer emotionalen Aufblähung führen muss. Eine große Aufgabe hat sich also der französische Komponist Pascal Dusapin für die Brüsseler Oper vorgenommen, als er sich mit der Penthesilea eines der sperrigsten Werke Kleists vornahm. Es gibt kein zweites Drama, in dem die Liebe in einem so liebesfeindlich-brutalen Umfeld zu einer zerstörenden „Krankheit zum Tode“ mutiert wie in dieser Tragödie. Das martialisch-raue Milieu kommt dem 59-jährigen Komponisten durchaus entgegen. Schließlich empfindet er Yannis Xenakis als seinen musikalischen „Ziehvater“ und Edgard Varèse als seinen geistigen „Großvater“. Komponisten mit einem Hang zu maschinenhafter Drastik.

Die hört man Dusapins Partitur zwar an, aber in klug dosierten Prisen, die lediglich an pointierten Höhepunkten ex- oder besser implodieren. Auch dem hochexpressiven Stil Schoecks geht er aus dem Weg. Dusapin unterlegt das gesamte Werk mit einer unterschwellig brodelnden Drohkulisse. Raffiniert instrumentiert, teilweise aus dem Nichts anschwellend, eine Klanglandschaft, die die gefährliche Leere einer Niemandslandschaft suggeriert, in der noch längst nicht alle Brandnester ausgetreten sind. Musik, die jedem Film zur Ehre gereichen könnte. Der transparente Orchesterklang erleichtert zudem die Textverständlichkeit der differenziert geführten Gesangsstimmen. Auf große Melodiebögen und koloraturenreichen Zierrat verzichtet Dusapin. Stattdessen komponiert er sehr eng am Text entlang, stilistisch entsprechend sprunghaft, oft kürzelhaft, bisweilen mehr sprechend als singend. Insgesamt spannend bis zum letzten Takt. Wie archaische Blöcke aus einer antiken Tragödie wirken die eingestreuten Chorpassagen.

Zusammen mit Beate Haeckl kürzte Dusapin Kleists gewaltigen Text rigoros auf anderthalb Stunden zusammen und modernisierte behutsam einige Stellen. Dadurch geht zwar der plastische Bilderreichtum und auch manches von Kleists Sprachgewalt verloren, immerhin belassen es die Librettisten bei der deutschen Originalsprache. Durch die Kürzungen wird der Blick noch stärker auf die Titelfigur fokussiert. Die Männerrollen, also Achill und Odysseus, erhalten recht stereotype Macho-Züge und werden auf Nebenrollen reduziert. Beide Partien sind mit Bariton-Stimmen besetzt. Für einen strahlenden Tenor ist in der düsteren Geschichte kein Platz. Das Sagen haben eindeutig die Frauen, neben Penthesilea vor allem Prothoe und die Oberpriesterin. Somit stehen die inneren Konflikte Penthesileas zwischen ihrer aufblühenden Liebe und der liebesfeindlichen Staatsraison im Mittelpunkt. Die trägt sie in großen Monologen, gipfelnd im Finale, aber auch im Diskurs mit ihren Amazonen aus. Die Liebe wirkt sich auf die Königin wie ein schleichendes Gift aus, sie entpuppt sich als „Krankheit zum Tode“.

Niemand Geringerer als Pierre Audi setzt dieses Konzept mit der Meisterschaft eines Routiniers um, der sein Handwerk versteht. Die vom Krieg zerrütteten Kulturen der Amazonen und der – männlichen – Griechen zeigen Wesen, die einen Teil ihrer Menschlichkeit abgelegt haben und sich durch die dunkle Szenerie wie Tiere bewegen. Vor allem die Amazonen schleichen sich katzenhaft den Griechen an. Kleists erschreckende Vorstellung von einer Frau, die im Liebesrausch ihren Geliebten zusammen mit den Hunden zerfleischt, durchzieht in feinen Anspielungen die gesamte Aufführung, während das Gemetzel allenfalls angedeutet wird. Mit Blut geht Audi sparsam um. Die Kernenergie der Handlung verlagert auch Audi in die Titelfigur, die eher irritiert und hilflos wie ein verwundetes Tier agiert.

Die in stetem Dunkel gehaltene Bühne erhält durch überdimensionale Schilde einen martialischen Anstrich, wobei die an sich schützende Funktion der Waffen in Frage gestellt wird, werden sie doch auch als zermalmende Waffen eingesetzt. Es gibt in den Bühnenbildern von Berline De Bruyckere nichts, was den Menschen Sicherheit garantiert. Das Feldlager wird durch Hügel angedeutet, die sich als Gräber entpuppen. Die Bühne wandelt sich zu einem großen Friedhof.

Der vorzeitige und alles andere als versöhnliche Rücktritt von Musikchef Ludovic Morlot nach der Don-Giovanni-Premiere im Dezember brachte das Haus vorübergehend in Bedrängnis, bis sich Franck Ollu bereit erklärte, die schwierige Aufgabe kurzfristig zu übernehmen. Der arbeitet die raffinierten Feinheiten der schillernden Partitur sorgfältig heraus und sorgt auch für die nötigen dramatischen Impulse, ohne expressionistischen Überdruck zu verbreiten. Die latent schwelende Bedrohung bleibt in jedem Takt spürbar.

Grandios, wie gewohnt in Brüssel, das Solistenensemble: Natascha Petrinsky als eine Penthesilea, die sich nach einem Dasein als Frau sehnt, ohne es sein zu dürfen, verkörpert die Zerrissenheit der Figur mit Haut und Haaren. Die Anforderungen der zwischen gesprochenem Dialog und mächtigen Ausbrüchen schwankenden Partie erfüllt sie mühelos. Ihr ebenbürtig die Prothoe von Marisol Montalvo und die Oberpriesterin von Eve-Maud Hubeaux. Nicht ganz so dankbare Aufgaben haben die männlichen Protagonisten zu erfüllen. Georg Nigl als Achille und Werner Van Mechelen als Odysseus bleiben ihren Rollen nichts schuldig. Ebenso wenig der Chor mit seinen kleineren Aufgaben.

Das Publikum feiert den anderthalbstündigen Abend mit angemessener Freundlichkeit, ohne in überschäumenden Jubel auszubrechen. Immerhin wird es Zeuge eines überaus inspirierten Stücks mit reellen Repertoirechancen.

Pedro Obiera

Fotos: Karl Forster