ALKESTIS
(Euripides)
19. Juni 2003 (Premiere)
RuhrTriennale
(Wuppertal, Schauspielhaus)
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Foto: © Ruth Walz
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Unser ganzes Mitgefühl gehört der Auferstandenen
Die Alkestis von Euripides war ein weiterer Beitrag zum Triennale-Thema
Liebe vor und nach dem Tod. Die Münchener Kammerspiele gastierten mit
der Inszenierung von Jossi Wieler im Wuppertaler Schauspielhaus.
Das durchgehende Bühnenbild (Jens Kilian) zeigt den Palast des König Admetos
als Mausoleum - fensterlos und holzgetäfelt, gediegen wie eine Großindustriellen-Villa,
kühl wie eine Hotel-Lounge. In diesem Haus bereitet sich Alkestis auf
den größten Liebesdienst an ihrem königlichen Gemahl vor: an seiner Statt
in den Tod zu gehen.
Die kühle Nina Kunzendorf ist prädestiniert für die Rolle einer Frau,
die mit erstaunlicher Gefasstheit ein großes Opfer bringt. So prädestiniert
wie Michael Wittenborn für die Rolle des Admetos, von dem mehr als zweifelhaft
ist, ob er soviel Liebe und Opfer überhaupt verdient. So offen der Euripides-Text
in der Frage ist, ob Admetos ein beklagenswertes Opfer der Götter oder
ein jämmerlicher Feigling ist, so geschmeidig mäandert Wittenborn zwischen
Larmoyanz und mitleiderregender Verzweiflung. Die übrigen Familienmitglieder
heucheln sich engagiert durch die Tragödie; ein jeder froh, dass er nicht
selbst als Stellvertreter den Gang in Richtung Hades antreten muss. Am
überzeugendsten heuchelt Hildegard Schmahl als alte Mutter des Admetos.
Am überraschendsten agiert Wolfgang Hinze als Vater. Mit großer Vitalität
vermag er als Einziger, eine moralisch sicher scheinende Überzeugung zu
unterlaufen, nämlich die, dass der alte Mensch, der Vater zumal, seinem
jungen Sohn das Sterben abnehmen sollte. In jeder Hinsicht erfrischend
ist der Auftritt von Hannes Hellmann als rüpeliger, saufender Zufallsgast
Herakles, der kurzerhand beschließt, dem götterbestimmten Schicksal doch
nicht seinen Lauf zu lassen und dem Thanatos die Frau wieder entreißt,
um sie dem trauernden Gatten zurück zu geben. Die gedämpfte Freude bei
allen Beteiligten zeigt, dass dieses Happy End das Drama erst recht zur
Tragödie macht.
Wielers Alkestis ist eine solide Inszenierung mit moderaten Aktualisierungen,
vor allem in Bühne und Kostüm (Anja Rabes), und gestandenen Schauspielern.
Dass dieses in seiner Durchtriebenheit ungewöhnliche und aufregende Stück
thematisch hervorragend in die Triennale passt, ist keine Frage. Warum
Mortier gerade diese Inszenierung eingeladen hat, bleibt eine offene Frage.
(cr)
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