|
Zeit des Umbruchs
Die Bühne Casabal Antals verweist auf historische Parallelitäten: Im pompösen
Wiesbadener Haus im ornamentenüberladenen Gründerstil (Wilhelm Zwo: "So
wat ham wir in Berlin nich!") finden sich Bühnenräume im Gestus der Industriebauten
im Vorfeld des Bauhauses (wie zum Beispiel die Empfangshalle im Dritten
Akt à la Zollern 2/4).
So kann Cesare Lievi einen Umbruch der Gefühlswelten im wiederum historisch
vorgelagerten Feudalismus inszenieren: Individuelle Emotionen befreien
sich im kleinen Kosmos des Grafen Almaviva, die wirkliche Revolution steht
vor der Tür (die Bauern wie die Müntzer-Truppen). Die distanzierende Personenführung
Lievis macht die Unsicherheit deutlich - und provoziert Assoziationen
zur Situation gesellschaftlicher Unübersichtlichkeit heutzutage.
Das ungemein spielfreudige Wiesbadener Ensemble lässt sich auf dieses
verwirrte Hin und Her mit Verve ein: Thomas de Vries singt den Grafen
mit Nachdruck, hat allerdings Probleme mit Mozarts überirdischem "Contessa
perdono". Sharaon Kempton verbreitet als Gräfin Sopran-Wohlklang, doch
will sich die elegische Faszination nicht einstellen. Mit Guido Jentjens
und Thora Einarsdottir ist ein selten erlebbares Paar Figaro/Susanna zu
sehen und zu hören: Jentjens mit dem drohenden Unterton der existentiellen
Wut in der vollen Stimme, Einarsdottir mit ihrem schmiegsamen Sopran als
vokale Verkörperung der Hoffnung auf neue Verhältnisse. Sandra Firrincieli
gewinnt dem Cherubino facettenreiche Aspekte divergierender Gefühlszustände
ab. Gabriela Künzler gibt ein eindrucksvoll-ungewöhnliches Rollenporträt
als mal nicht Alte-Schachtel-Marzelline. Dem übrigen Ensemble bleibt allerdings
nicht mehr, als die gewohnten Standards zu erfüllen.
Doch bei aller Wertschätzung von Bühne, Regie und Gesang: "Star" der Aufführung
ist Toshiyuki Kamioka mit dem exzellenten Hessischen Staatsorchester Wiesbaden:
federnd fordert er die Instrumentengruppen, hat die Sänger aufmerksam
im Auge, lässt die Gefühlswelten Mozarts leuchten, beherrscht die delikate
Dynamik und lässt die Freude an dieser genialen Musik lebendig werden.
Im fast ausverkauften Wiesbadener Haus das diszipliniert-traditionsbewusste
Publikum und dazu Gruppen Jugendlicher in den oberen Rängen: alle angetan
vom Gebotenen - die Älteren durch prima Gesang und Musik, die Jüngeren
durch das offenbar nicht erwartete muntere Spiel (dass einige Kids ihren
üblichen Jokus treiben, ist wohl nicht zu vermeiden, doch herrscht auch
bei diesen immerhin während der Bühnenaktionen Ruhe). (frs) |
|