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Belcanto. Original
Von Franz R. Stuke
Belcanto - offenbar ein gängiges Missverständnis der Opernfreaks nach
dem Motto ,Je kraftvoller das Hohe C, desto besser der Tenor'. John Dew
engagiert sich mit Donizettis La Favorite (der französischen Version)
für die Wiederentdeckung des "wirklichen" Belcanto: fioriturenreiches
ziseliertes Singen ohne Forcieren und Dampf, Anknüpfen an die virtuosen
Auftritte der Sänger in der Grand Opera. Dazu geht dieses opernhistorische
Experiment auf die intimen Beziehungen zwischen Bühne und Zuschauern ein,
wozu Thomas Gruber durch ein zweites Proszenium die Bühne näher an das
Publikum bringt. Die Premiere lief offensichtlich nicht optimal, der "Ausfall
bestimmter Instrumentengruppen" (Direktor Holender in der Sonntags-Matinee)
spielte dabei eine Rolle und die Dewsche Personenführung fand nicht zu
sooft bewunderten Intensität (Holender: "Moderner Aufputz, antik erzählt").
Ganz anders in der dritten Aufführung: Fabio Luisi hat als erfahrender
Kapellmeister alles im Griff; er ist sicherlich kein Magier, doch umsichtig
führt er das Orchester der Wiener Staatsoper durch Donizettis charakterisierende
Feinheiten.
Dews Regiekonzept wirkt bezwingend-intensiv: die tragisch kontrastierten
Protagonisten lassen die Macht der Kirche als gnadenlos aber auch als
schutzbietend erscheinen, Gefühle werden als existentieller Ausdruck wahrnehmbar.
Die extreme kommunikative Personencharakteristik mit sublim-ausdrucksstarker
Gestik lässt die Wiener Titeldisplays vor jedem Sitz überflüssig werden!
Thomas Grubers kreuzbehangenes Bühnenbild pointiert den übergreifenden
Focus des Dramas (erinnert dabei allerdings stark an Schrekers "Schmied
von Gent" in Bielefeld), treibt die Ambivalenz des Christlichen im erbarmungslosen
Kampf gegen die Mauren in Spanien nachhaltig ins Bewusstsein. Dazu gefühlvoll-emotionale
Kostüme von Jose-Manuel Vazquez, die Gefühle auf höchstem artifiziellem
Niveau vermitteln.
Giuseppe Sabbatini hat offensichtlich darauf gewartet, seine enormen virtuosen
Qualitäten als Belcanto-Star zu präsentieren: da stimmen alle interpretierenden
Verzierungen, da klingt es schmiegsam-klangschön mit zu Herzen gehender
Anrührung. Violeta Urmona ist eine exzellente Leonor, voller Lyrik, aber
auch mit aller tragischen Zerrissenheit. Carlos Alvarez besticht mit kraftvoll-ausdrucksstarkem
Bariton, und die junge Genia Kühmeier besteht die Herausforderung der
heiklen Eingangsszene mit Bravour.
Das Publikum folgt gebannt, sogar den nöhlenden Schmäh-Absondern fehlen
die Pseudo-Argumente.
PS: Mit Mozarts "Totenmusik" vor stehendem Auditorium gedachte die Wiener
Staatsoper dem verstorbenen Marcel Prawy - dem alleswissenden "Opernführer".
Ioan Holender: "Nun haben wir keinen mehr, der uns sagt, wie es war!"
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