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Helmut Lachenmann wagt mit seiner
"Musik mit Bildern" den Schritt in eine völlig neue Form des Musiktheaters.
Bei der imaginativen Umsetzung des bekannten emotional anrüh-renden Märchens
von Andersen geht es musikalisch nicht um die bloße Adaption neuer For-men
musikalischen Ausdrucks wie Rückgriffe auf serielle Trends, auf Variationen
der Aktualität oder aktualisierende Verfremdungen historischer Formen
wie etwa der Spätromantik - Lachenmann entfaltet alternative Kommunikationsmöglichkeiten
im Zusammenspiel von Klängen und Geräuschen mittels unkonventionell genutzter
"klassischer" Instrumente und nach musikalischen Regeln eingesetzter Geräusche
mittels Styroporplatten, Händereiben usw. Verzichtet wird somit auf die
"Rezeptionshilfen" von traditionell vermittelten Melodien oder Motiven;
verzichtet wird aber vor allem auf die Sprache: Der Text des Märchens
sowie ein Zitat Gudrun Ensslins und eine Passage Leonardo da Vincis wird
in Wortfetzen, artifiziert "gesungen", gehaucht, gesprochen als Geräusch
wahrgenommen - "Musik" und "Bilder" werden nicht sprachlich aufgehoben
und in einen rezipierbaren Zu-sammenhang gebracht.
Das Publikum hat die Chance, seine je eigene Geschichte mit Hilfe des
Vorgegebenen zu assoziieren! Das gelingt auf der Bühne und mit Hilfe der
imaginativen Regie Peter Mussbachs ganz vor-trefflich: wesentliches Ausdrucksmittel
sind suggestive Bilder, hervortretend aus einer schwarzen Bühnenwand -
das Mädchen in Bewegungen erstarrt, mit verloren leuchtendem Schwefelholz
in schneebedeckter Einsamkeit, dazu Projektionen und Farbeffekte. Lachenmanns
Intention, Formen der Gewalt erlebbar zu machen und die Dimension der
Vereinsamung zu überhöhen, gelingt auf eindringliche Weise. Allerdings
wendet sich Lachenmanns Absage an die Sentimentalität des Märchens ("...um
nachher zu Kaffee und Kuchen überzu-gehen...") eher zu pseudo-reflektierender
Distanz: das "Mädchen mit der Straßenzeitung" vor dem Opernhaus verkauft
an dem Abend drei Exemplare! Soviel zum Publikum und seine "Betroffenheit".
Musikalisch hatte Lothar Zagrosek - der Dirigent der Hamburger Uraufführung
1997 - ein weites Feld zu bestellen: sind Teile des Chors (Leitung Michael
Alber) und des Orchesters doch über mehrere Ebenen des Zuschauerraums
verteilt! Er erzielt mit der Vielfalt der Klangmöglichkeiten eine enorme
kommunikative Kraft und lässt die subtilen Einfälle La-chenmanns als eisige
Kälte mit Fallen des Schnees, des absterbenden Herzschlags expressiv zusammenklingen.
Lachenmanns Werk zeigt die Möglichkeiten musikalischer Kommunikation im
Zusammenspiel mit szenischen Mitteln, neue Wirklichkeiten konstruierend
mit einem ungeahnten Höchstmaß an klanglichen Effekten - faszinierend,
aber offenbar (s.o.) ohne mittelfristig emotionale Änderungen zu bewirken.
An der fehlenden "Sentimentalität" kann es nicht gele-gen haben - Bilder
und Klänge eisiger Einsamkeit gehen schon zu Herzen - vielleicht aber
am übermäßigen Verbrauch von Rezeptionsenergien angesichts der ungewohnten
Herausforderungen? (frs) |
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