WAGNER-RALLYE
(Christoph Schlingensief)
6. - 9. Mai 2004
Ruhrfestspiele Recklinghausen
www.wagnerrallye.de
Video-Trailer (495kb)
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Fotos: © Patrick
Hilss / Julia Holscheider
Video: © www.wagnerrallye.de
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Wagner auf Pole Position
Wie unwahrscheinlich es auch klingen mag: Der neueste Akt in Christoph
Schlingensiefs Welttheater basiert tatsächlich auf einer literarischen
Vorlage. Alexander Kluge lieferte mit seiner Erzählung "Götterdämmerung
in Wien" die wundervoll poetische Inspiration für Schlingensiefs Wagner-Rallye.
Bei Kluge ist es das Orchester der Wiener Oper, welches in den letzten
Kriegstagen tief in den Luftschutzkellern des umstellten Wiens die Götterdämmerung
aufführt. Dabei muss es sich auf einzelne Keller verteilen, so dass die
einzelnen Instrumentensektionen räumlich getrennt voneinander spielen.
Bei Schlingensief wurden daraus 10 Rennteams à zwei Personen, welche innerhalb
von drei Tagen die "Wagner-Rallye" austrugen. Quasi als Einstimmung auf
seine diesjährige Parsifal Inszenierung in Bayreuth hatten sie die Aufgabe,
Wagner buchstäblich in das Ruhrgebiet hinauszutragen: Dazu erklangen über
die auf den Fahrzeugen montierten Lautsprecher ausgesuchte Wagnerstücke.
Mit Kluges "Götterdämmerung in Wien" hatte das insofern zu tun, als jedem
Fahrzeug isoliert die Tonspur einer Instrumentensektion zugeordnet war.
Nur, wenn alle Fahrzeuge zusammentrafen, war das komplette Orchester zu
hören.
Außer der möglichst schnellen Bewältigung der Rallyestrecke hatten die
Teams noch besondere Aufgaben zu lösen. Diese umfassten dabei außer alten
Schlingensief-Klassikern (Anzahl ums Leben gekommener Zwangsarbeiter,
aktuelle Arbeitslosenquoten) zumeist ein unterhaltsames Brainstorming
zum Thema Richard Wagner: Wagners Lieblingsfrühstück, Wagner-Straßen,
Preise für Wagner Pizza und Operngläser galt es herauszufinden. Als Lohn
winkte dem Gewinnerteam immerhin eine (!) Eintrittskarte für Bayreuth.
Beeindruckend war dabei der Elan der eigens "gecasteten" Fahrerteams.
Mit ihrer spontanen, offenen Herangehensweise an die schlingensiefsche
Ideenwelt verliehen sie der Performance erst das nötige Leben. Christoph
Schlingensief bewies hier wieder sein - fast schon angstmachendes - Talent,
Laien für seine Projekte wirklich zu begeistern. Dieses Auflösen der Distanz
zwischen Hochkultur und der breiten, eher hochkulturskeptischen Masse
war letztlich auch Endziel der Wagner-Rallye. Im gewissen Sinne ist dies
auch geglückt: Das ständige Herstellen von Assoziationsketten zum Thema
Wagner, die in die Richtung Rennwagen, Pizza, Haustiere etc. gehen, durchbricht
tatsächlich den landläufigen (und von den Massenmedien gern gepflegten)
Dreisatz Wagner=Bayreuth=sechs Stunden Langeweile und macht so neugierig
darauf, was es denn nun mit dem tatsächlichen "Wagner" auf sich hat.
Finale im Festspielhaus
Ein Wermutstropfen war leider die aus bekannten Versatzstücken des schlingensiefschen
Kosmos eher lieblos zusammengestellte "Abschlusshow". Die ausgezeichnete
Neue Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Johannes Wildner trat
gegen einen absichtlich grausamen Schlagersänger, Zirkusartisten, eine
Cheerleadertruppe und von Laiendarstellern verkörperte Showgäste (z.B.
die fiktive Präsidentin des ADAC Königsberg) an. Beigeordnet war dem zwar
der bekannte Moderator und Kabarettist Hans Werner Olm, der vermochte
allerdings auch mit seiner gespielten Verwirrtheit der Show nicht den
nötigen Esprit zu verleihen. Eher hatte man den Eindruck, dass hier der
spontane Dilettantismus, eigentlich ja eines der starken, unvergleichlichen
Wesensmerkmale schlingensiefscher Kunst, sich stellenweise verselbstständigt
hatte. So sah es eben nicht originell aus, als z.B. die Cheerleader am
Anfang völlig unausgeleuchtet auftraten, sondern schlichtweg traurig.
Wirklich große Momente gab es aber auch hier, zumeist wenn die Beteiligten
sich in ihrem eigentlichen Element bewegten. So wird man schwerlich vergessen
können, wie zum eindringlichen Spiel der Neuen Philharmonie Westfalen
auf den Videoleinwänden Impressionen der Rallye oder schlichtweg der leere
Hinterhof des Festspielhauses mit dem auf die Rückkehr der Fahrer wartenden
Christoph Schlingensief eingeblendet wurde. Auch, wenn Schlingensief umherlief
und die Fahrer zu einer letzten "Synchronisation" der Lautsprecher dirigierte,
zeigte sich jene geballte Energie und jener notorische Spieltrieb, welcher
seine Kunst so mitreißend macht. In solchen Momenten entstanden Bilder,
denen man sich nur schwer entziehen konnte, wie auch dem Abschlussbild:
das spielende Symphonieorchester zusammen mit den 3 Gewinnerwagen auf
der Bühne, ein Anblick von beeindruckender Intensität.
Zu guter letzt sei noch angemerkt, dass sich der Rallye im Hinblick auf
die zu erwartende Parsifal-Inszenierung in Bayreuth vielleicht manche
Hinweise entnehmen lassen. Nach Schlingensief buchstabiert sich PARSIFAL
nämlich folgendermaßen: Politur, Achsmanschetten, Radblenden,
Sportschalldämpfer, Imprägnierspray, Fahrzeugfedern,
Auspuffblenden, Lenkungsdämpfer. Na dann: Start frei! (ap)
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