Elementare Gefühle
Gounods Faust - in Pilsen als Ballett: Oper als emotionales Tanztheater! Jiri Pokorny choreografiert mit einer faszinierenden Mischung von klassischem Ballett und avanciertem Tanztheater das Leiden der Seelen. Er konfrontiert Altersverzweiflung und Lebenssucht Fausts und Margarethes Sehnsucht, Verzweiflung und seelische Überhöhung mit der teuflischen Animalität des Mephisto und den Verführungskräften der Mephistophela - die genial hinzuerfundene weibliche Komponente im raffinierten Kampf um die Seelen.
Das perfekt zusammenspielende Orchester des Tyl-Theaters vermittelt unter die Haut gehende musikalische Kommunikation; Jiri Petrdik leitet sehr einfühlsam mit weit ausladender Gestik, viel Aufmerksamkeit für das brillante Tanz-Ensemble, bemerkenswertem Tempogefühl und einem geradezu kongenialen Verständnis für die Emotionalität der Gounod-Musik.
Für die getanzte Version ist die Musik genregerecht bearbeitet, reduziert auf die Steigerung seelische Qualen - endend mit der Apotheose Margarethes.
Jaroslav Milfajt lässt über der großen Bühne gewaltige gotische Bögen schweben, nutzt versenkbare Bühnenelemente zur Skizzierung wechselnder Handlungsräume, deutet mit einem monumentalen Kreuz den religiösen Bezug an, schafft mit intensiven Lichteffekten eine Atmosphäre permanenter emotionalisierender Spannung - mit der erlösten Margarethe im Gegenlicht zum – nicht kitschigen - Finale.
Im üppig – k.u.k.-mäßig – dekorierten Auditorium der Tyl-Oper verfolgt ein hochkultiviertes Publikum das beeindruckende tänzerische Geschehen, lauscht der filigran-ausdrucksstarken Musik und setzt sich – invers – mit der existenziellen Botschaft des Werks auseinander.
In der Pause sind auf einem Bildschirm Szenen aus der Jenufa-Produktion des Hauses zu sehen: klares Bühnenbild, beeindruckende Chor-Bewegungen, intensive Personenführung - die Oper in Pilsen verdient offensichtlich mehr Beachtung als ihr bislang unter deutschen Opernfreunden gezollt wird! (frs)
|