|
Mehr Klang, weniger Raum - weniger
Klang, mehr Raum
".in die Fremde" heißt das Motto der 9. Münchener Biennale. Passend dazu
erscheint die Uraufführung der Oper "Versuchung" von Qu Xiao-song, denn
das Werk des chinesischen Komponisten führt sein Münchner Publikum sowohl
thematisch als auch musikalisch in eine fremde Welt.
Mit seiner Librettistin Wu Lan hat Qu Xiao-song einen klassischen chinesischen
Stoff aus dem 18. Jahrhundert umgesetzt. Im Mittelpunkt der Geschichte
steht der Weise Zhuang Zhou, der die Treue seiner Frau auf die Probe stellt,
indem er seinen Tod vortäuscht. Hintergrund ist die alte chinesische Sitte,
die von Frauen verlangt, nach dem Tod ihres Mannes ein keusches Leben
zu führen. Prolog und Epilog bilden eine Art Rahmenhandlung, die jeweils
in der Unterwelt stattfindet.
Sabrina Hölzer inszeniert diese Geschichte von Liebe und Tod ganz in der
Tradition des hochartifiziellen und stilisierten Kunqu-Theaters. Das Agieren
der Darsteller beschränkt sich auf ein Minimum, jede Geste und Mimik ist
einstudiert. Die prachtvollen chinesischen Kostüme und Masken unterstreichen
diesen Eindruck und kommen in dem von Etienne Pluss spartanisch gestalteten
Bühnenraum besonders zur Geltung. Perfektioniert wird dieses hochästhetische
Bühnenkonzept durch effektvolle Lichtspiele von Jeannot Bessièret.
Auch musikalisch hat der Zuhörer viele fremde Eindrücke zu verarbeiten,
denn Qu verwendet in erster Linie traditionelle chinesische Instrumente,
die er mit Streichern kombiniert. Wer hier Ansätze von Cross-over erwartet
hat, wird enttäuscht. Qu nutzt die Streicher nur um stehende Clusterklänge
zu erzeugen, die ihm für den Charakter seiner Musik als Farbe dienen.
Überhaupt vorherrschende Mittel sind Glissandi und Cluster, die sich mit
percussiven Abschnitten abwechseln. Das innere Tempo der Oper wirkt auf
weite Strecken wie eine Klang gewordene Meditation.
Vier chinesische Gesangssolisten sind in den Solopartien zu erleben. Exotisch
anmutend in Klang und Körpersprache fallen Shi Xiao-mei (Prinz Chu) und
Kang Jian-hai (Schamane) auf. Beide sind bekannte Künstler des traditionellen
chinesischen Theaters und unterscheiden sich deutlich von ihren westlich
geschulten Kollegen Gong Dong-jian (Zhuang) und Wu Bi-xia (Mme.Tian).
Die Intension des Komponisten Qu, "weniger Klang, mehr Raum", zieht sich
konsequent durch die Oper. Ob das Münchner Publikum wohl unter Einfluss
dieses sedativ wirkenden Klangteppichs so ruhig und verhalten applaudierte?
Oder lag es an der kühlen Distanziertheit, die das Werk in all seiner
Ästhetik ausstrahlt? Denn es fällt schwer mit dieser Oper wirklich warm
zu werden, bewahrt sie doch selbst in ihren abgründigsten Momenten eine
nahezu klinische Reinheit. (ecd)
"Versuchung" ist in Berlin vom 20 - 23. Mai 2004, 20 Uhr in Hebbel am
Ufer zu sehen und DeutschlandRadio wird am 5. Juni 2004 ab 19:30 Uhr eine
Aufzeichnung ausstrahlen. |
|