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Reise nach Jerusalem
Nach den erfolgreichen Händel-Opern der letzten Spielzeiten präsentiert
München nun unter der Regie von Christof Loy ein szenisches Oratorium
im wortwörtlichen Sinne. Der geöffnete Vorhang entblößt einen kargen,
akkurat bestuhlten Konzertsaal - hinten die Stühle für das Volk beziehungsweise
den Chor, in erster Reihe die VIP-Plätze der Solisten. Schon im orchestralen
Vorspiel erschöpft sich das aufgeregte Agieren der Solisten entlang dieser
Stuhlreihe auf der Suche nach dem rechten Platz. Endlich erscheint David,
der Bezwinger Goliaths, unterm Arm jedoch nicht dessen Kopf, sondern einen
Händelschen Klavierauszug.
Die rampenparallelen Aktionen mit dem aufgereihten Chor im Hintergrund
ließen den ersten Akt wie eine semi-konzertante Aufführung erscheinen,
würde nicht eben dieser Chor sehr differenziert agieren, um einerseits
die Handlungen der Solisten zu kommentieren, andererseits die Stimmung
der Volkesseele darzustellen. Christof Loy hat die einzelnen Charaktere
sparsam aber klar gezeichnet: König Saul als verhärmten, cholerischen
Herrscher, dessen Kinder Jonathan und Michal weicher und sensibler als
die harte Schwester Merab und David als den naiven, charismatischen Helden.
Die strenge Form lockert sich in den folgenden zwei Akten, doch die Sparsamkeit
bei Requisiten und Bühneneinrichtung bleibt. Ab und zu stürmen Solisten
als Bodyguards oder vermummte Sondereinsatzkommandos über die Bühne, und
die Hexe von Endor kommt als Obdachloser in Sauls Palast.
Herbert Murauer entwarf Bühnenbild und Kostüme: Sein weiß getünchter,
klassizistischer Saal mit Orgelpositiv über dem Eingangsportal wirkt kalt
und nackt, die fünf Stufen, die auf das Proszenium herabführen, dienen
als Stellfläche für besagte Stühle oder müssen von den Darstellern bespielt
werden, wobei diese so gut wie möglich zu variieren versuchen. Das Portal
dient als Fluchtweg vor Sauls Speerattacken, die leider einem misslungenen
Lichteffekt zum Opfer fallen, oder als umnebelte Himmelspforte für den
Auftritt des Propheten Samuel (Jonathan Lemalu) aus dem Jenseits. Erst
wenn die im Gegensatz zu den Solisten wirkungsvoll kostümierten Choristen
den Saal bevölkern (Choreographische Mitarbeit Jacqueline Davenport) beginnt
er zu wirken.
Ivor Bolton leitet das von Barockinstrumentalisten verstärkte Bayerische
Staatsorchester voller Dynamik und übernimmt teilweise selbst das Continuo.
Unter dem Händel-Spezialisten wird die Musik zum homogenen, flexiblen
Klanggenuss, welcher nur gelegentlich geschmälert wird, wenn die Präsenz
des Orchesters zum Nachteil der Sänger gerät.
Herausragend und bewegend singt der Countertenor David Daniels die Harfenarie
des David und stellt sich damit an die Spitze der hochkarätigen Gast-Solisten:
John Mark Ainsley als Jonathan singt mit großer Stahlkraft, bleibt szenisch
aber etwas blass, Alstair Miles gibt einen souveränen, hölzernen Saul,
Rosemary Joshua besticht durch Beseeltheit ihrer Arien und Rebecca Evans
müht sich im ersten Akt mit den dramatischen Ausbrüchen ihrer Merab, kann
später aber in den lyrischen Arien glänzen. Der Münchner Tenor Kevin Conners
in der Rolle des Priesters verströmt Wohlklang in seinen weihevollen Arien.
Bis auf einige Bravos für den Dirigenten beim Wiederauftritt nach den
beiden Pausen, schien das Premierenpublikum während der Vorstellung auf
den Händen zu sitzen: Kein einziger Szenenapplaus. Dann trat auch noch
Intendant Peter Jonas nach der zweiten Pause vor den Vorhang, um die völlige
Indisposition von Robert Tear als "Witch of Endor" anzusagen, welcher
dann seinen Part mit heiserer Stimme tapfer deklamierte. Und am Ende?
Tosender Beifall, Bravos und Getrampel auf den Rängen! Der Chor mit seinem
Leiter Udo Mehrpohl wurde enthusiastisch gefeiert, die Solisten und Ivor
Bolton ebenso, und die wenigen Buhs für die Regie gingen im allgemeinen
Jubel unter. (if) |
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