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Der Zauber von Mélisande
Eine zarte, elfenhaft anmutende Frau mit hüftlangem, flammenrotem
Haar huscht aus einer Tür. Die lange Schleppe ihres Kleides verhakt
sich und sie kann dem hünenhaften Golaud, dem sie soeben begegnet
ist nicht entkommen. Doch will die Schöne wirklich fortlaufen? Ihr
Verhalten lässt keine klaren Schlüsse zu, denn es gibt auch
Momente, in denen sie die Nähe von Golaud sucht. Mit kindlicher Neugier
weist sie kokett auf sein ergrautes Haar, als sie ihn mit ihrer Schleppe
regelrecht umgarnt. Außer ihrem Namen, Mélisande, gibt sie
nichts von sich preis. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, ist ihr
Golaud vollständig verfallen.
Schon in dieser ersten Begegnung lässt die Inszenierung von Richard
Jones klar erkennen, dass die Beziehung zwischen dem reifen, besitzergreifenden
Golaud und der jungen, introvertierten Mélisande auf ein sehr unebenes
Fundament gebaut ist. Als sich Golauds jugendlicher Halbbruder Pelléas
und Mélisande dann begegnen und verlieben, kommt es zur Katastrophe.
Bei der Münchner Neuinszenierung spielte sich dieses Liebesdrama
in dem typischen Bühnenarrangement ab, das momentan en vogue zu sein
scheint: Tristes Bühnenbild ohne Ausstattung mit historisch wirkenden
Kostümen. (Bühne: Anthony McDonald; Kostüme: Nicky Gilibrand)
Schon fast lächerlich erschien die erste Darstellung des Schlosses,
das eigentlich mehr einem Humperdinckschen Hexenhaus in Strichmännchenmanier
glich als einem Schloss. Die Innenansicht bot leider auch nichts Besseres:
kahle weiße Wände, mit Pritschen versehen, vermittelten den
Charme einer alten Irrenanstalt. Außerdem störten die teilweise
langwierigen Umbaupausen, die den Handlungsfluß unnötig bremsten.
Doch wenn es gelang all dies zu übersehen, geriet man ganz in den
Bann der fabelhaften szenischen und musikalischen Darbietung. Denn traumhaft
spielte das bayrische Staatsorchester unter Paul Daniel, das mit seiner
Klangmalerei vermittelte, was man im Bühnenambiente so schmerzlich
vermißte, nämlich Farbe. Getragen von diesem Klangteppich konnten
die Sänger befreit in ihren Partien aufgehen. Herausragend war Joan
Rodgers in der Rolle der Mélisande. Mit ihrer kühlen, silbrig
schönen Stimme brachte sie alle Nuancen dieser geheimnisvollen Frau
ins Spiel; ob Elfe, Kind, Heilige oder Femme fatale.
Jungenhaften Charme versprühte Garry Magee als blonder, wuschelköpfiger
Pelléas. Sein lyrischer Tenor stand im richtigen Kontrast zu dem
dunklen, ausgereiften Bassbariton seines Konkurrenten und älteren
Halbbruders Golaud. Diesen von Liebeskummer gepeinigten Mann nahm man
Robert Hayward in jedem Moment ab. Den Großvater Arkel sang Clive
Bayley mit Würde und wunderschönem Bass.
Catherine Wyn-Rogers (Geneviève), Gerhard Auer (Arzt) und Nikolay
Borchev (Schäfer) füllten ihre Nebenrollen souverän aus.
Besonderen Applaus konnte aber der jüngste Sänger des Abends
einheimsen: Golauds Sohn, Petit Yniold, war mit einem Solisten des Tölzer
Knabenchores (leider ohne namentliche Nennung) besetzt worden, der mit
klarem Sopran und natürlicher Spielfreude begeisterte.
Ein großer Opernabend - dank Sängern, Musik und Regie! (ecd)
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