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Fakten zur Aufführung 

NORMA
(Vincenzo Bellini)
31. Januar 2006
(Premiere: 21.1.06)

Bayerische Staatsoper München

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Kalkulierte Legendenbildung

Dass das Ereignis zur Legendenbildung Anlass bot, war klar. Der Aufstieg einer großen Norma war zu erwarten und anders als bei einer neuen Carmen, Leonore oder Manon bringt dieser Umstand die Operngemüter ziemlich in Wallung. Die gallische Druidin haust seit den Tagen der Callas in den Gefilden der Opernmythologie. Edita Gruberova, die wohl spätest berufene der großen Normas, hat in München einen Triumph gefeiert, auf den sie sich gut vorbereitet hat. Jahrelange Studien und einige Konzertaufführungen gingen dieser ersten szenischen Darstellung voraus. Noch seit ihrer letzten konzertanten Norma in Baden-Baden im Herbst hat sie sich entwickelt. Es ist eben sogar für einen emotional hochintelligenten Menschen ein Unterschied, ob Gefühle bloß aus dem Inneren erschaffen werden müssen oder in einer Regie gelebt werden können.

Gruberovas „Casta diva“ war bereits eine Oper in Miniature, hier ließ sie alle Gefühlsschwankungen Normas hören. Fast trotzig begann ihre Beschwörung der Göttin, kippte ins Angstvolle und zog sich selbst wieder hoch bis zum nächsten Straucheln. Doch diese berühmte Szene ist längst nicht alles, worauf es ankommt. Unvergesslich wird die quälende Verzweiflung bleiben, mit der diese Norma um ihre Kinder rang. Und zwei Töne, mit denen sie sich selbst dem Tode auf dem Scheiterhaufen auslieferte, wurden zur Offenbarung. Dieses schlichte, vibratolose, dabei überirdisch leuchtende „Son io“ reicht aus, um die Norma-Legende der Gruberova zu begründen.

Die Regie von Jürgen Rose lebt durch ihre in blauschwarz getauchte Düsternis, ihre in strahlendes Blau gehüllte Protagonistin und die fast fernöstliche Anmutung einer steil aufsteigenden Bühne. Die Personenregie Roses ist dagegen schwach, opernhafte Bewegungen kann er keinem austreiben, will es wohl auch nicht. Mit dem Chor gelingt Rose am wenigsten, ein paar Gänge, Waffenprotzerei, beschwörende Gesten, das war’s. Dabei offenbart Rose in dieser Inszenierung durchaus den Willen, das Werk nicht nur als Drama zwischen Norma, Adalgisa und Polline zu deuten, sondern auch als politischen Konflikt. Ein „quälender Friede“ herrscht schließlich und alle, Gallier wie Römer, Besetzte und Besatzer lechzen nach Gewalt. Da lag es nahe, Kostüme zu entwerfen, die an Iraker, Palästinenser und Amerikaner erinnern. Wer diese Schicht betont, muss mit dem stärksten Gegner fertig werden, der Musik Bellinis. Wenngleich Rose für den menschlichen Dreieckskonflikt, dem musikalisch alle Aufmerksamkeit gilt, nichts Überraschendes einfällt, kümmert man sich als Hörer kaum um den politischen Aspekt. Das lässt Roses Ambitionen letztlich banal erscheinen.

Rose arbeitet jedoch nie gegen die Sänger, Rampensingen ist die Folge. Die hohe sängerische Qualität macht dies akzeptabel. Zum Glück stehen der Gruberova adäquate Partner zur Seite – ein väterlicher, profund singender Oroveso in Roberto Scandiuzzi, eine reife, ungemein kraftvolle Adalgisa in der gefeierten Sonia Ganassi und ein zwischen Lyrik und Dramatik geschickt vermittelnder Zoran Todorovich als Polline. Alle Sänger lassen mehr hören als nur schöne Kantilenen. Vor allem Todorovich zeigt einen profilierten, zähnefletschenden Machtmenschen mit großen menschlichen Schwächen.

Friedrich Haider und dem Bayerischen Staatsorchester gelang es in der Ouvertüre noch nicht, Bellinis Partitur als gespenstische, fein erdachte Nachtmusik zu interpretieren. Vom Konventionellen entfernte man sich erst Schritt für Schritt, doch vom plumpen Hm-Ta-Ta grüßten die wenigsten Stellen.

Erstaunlich, dass das Publikum bei so viel Qualität zurückhaltend blieb. Anscheinend konnten die Zuhörer ihr Kartenglück sehr wohl fassen, kalkulierte Legendenbildung also. Erst zum Schlussapplaus feierte man die Sänger gebührend und lang anhaltend. (tv)


Fotos: © Wilfried Hösl