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Vielschichtig
Ein zarter Frauenkörper in weißer Unterwäsche liegt blutüberströmt auf
einer Krankenliege, eine Axt zwischen die Beine gesteckt, das Gesicht
ist durch den Bildrand fast abgeschnitten, im Hintergrund liebliche Tierfiguren
einer Kindertapete. So zeigt der Regisseur David Alden das Bild Lulus,
das im ersten Akt entsteht und wie ein roter Faden durch das ganze Stück
hin immer wieder auftaucht. Ein Bild von Gewalt und Missbrauch, von perverser
Phantasie und doch großer Anziehungskraft.
Die Handlung ist von Deutschland am Ende des 19. Jahrhunderts nach Amerika
Ende des 20. Jahrhunderts verlegt. Lulus Geschichte beginnt und endet
in der sauberen Heile-Welt-Umgebung amerikanischer Vorstädte (Bühne Giles
Cadle). Hier wird sie im Prolog vom Tierbändiger (Jacek Strauch) als Objekt
der Begierde, als gefährliches Tier vorgeführt. Doch zeigt uns Alden dazu
ein Mädchen im Puppenkleidchen, in kindlicher Verspieltheit.
Margarita De Arellano verkörpert diese Lolita perfekt und hat dabei die
stimmlichen Mittel, der Person Lulu große Tiefe zu verleihen. Nachdem
Lulus Ehemann im Atelier des Malers beim Anblick der Kopulierenden der
Schlag getroffen hat, heiratet der Maler (Will Hartmann) Lulu und macht
mit dem Verkauf ihres Bildes ein Vermögen. Dann tauchen zwei weitere Männer
aus Lulus Vergangenheit auf, die das Bild des Malers von seiner Traumfrau
- er nennt sie Eva - zerstören und ihn in den blutigen Selbstmord mit
der Rasierklinge im Bad treiben: Doktor Schön (Tom Fox), bei dem Lulu
aufgewachsen ist und der alte Penner Schigolch (Franz Mazura), den Lulu
ihren Vater nennt. Der mit seinen 80 Jahren unglaublich vitale Franz Mazura
gibt dieser Figur große Intensität. Verkörpert er doch Lulus Herkunft
aus der Gosse, wohin sie am Ende auch zurückkehren muss.
Wie Lulu es gelingt, ihren Gönner Dr. Schön zur Heirat zu zwingen ist
einer der Höhepunkte im Stück. Margarita De Arellano kann dank einer soliden
tänzerischen Ausbildung in einer aufwendigen Choreographie (Beate Vollack)
hier parallel zum anspruchsvollen Gesangspart die Beine ihres Luxuskörpers
bis ans Ohr werfen und eine broadway-reife Show abziehen. Allerdings macht
Lulu auch diese Ehe nicht glücklich, sie hält sich paillettengewandet
vor den Augen ihres Mannes im schicken Penthouse diverse Liebhaber einschließlich
dessen Sohn Alwa (John Daszack) und der lesbischen Gräfin Geschwitz (Katarina
Karnéus) und bringt Schön schließlich um. Dann folgen Gefängnis und Flucht.
Der dritte Akt, der nach Bergs Tod von Friedrich Cerha vervollständigt
wurde, spielt eigentlich in Paris, bei Alden allerdings in einem Flughafen,
wo Lulu inmitten des Ensembles als bunter Touristenhaufen dubiose Aktiengeschäfte
tätigt, die nur kurzzeitig Geld bringen. Nach erneuter Flucht vor der
Polizei wartet das bittere Ende als Prostituierte durch Jack the Ripper
(wieder Tom Fox), der auch als Gestalt des Dr. Schön oder einfach als
der Tod gesehen werden kann.
Die komplexe, vielschichtige Aussage des Textes findet in Bergs Komposition
einen musikalischen Spiegel und das Bayerische Staatsorchester hält ihn
dem Publikum unter Michael Boders Leitung geschliffen und klar vor. Optisch
wie akustisch wird man von Anfang bis Ende gefesselt, was zwar auch erschöpft,
doch ein seltenes Erlebnis in der Oper ist. Die Sänger sind alle hervorragend,
sowohl stimmlich wie darstellerisch, stets mit vollem Einsatz in ihrer
Rolle und meist gut zu verstehen.
Das Publikum honorierte diese erstklassigen Leistungen angemessen und
entsprechend den verbleibenden Kräften nach einem derart intensiven Erlebnis.
(if)
Karten unter (089) 21 85 19 20 |
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