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Die Angst vor dem Leben
In manchen Lebenslagen hilft nur noch der Suff. Krisen verflüchtigen sich plötzlich; die Welt wird vom verklärten Heiligenschein illuminiert, und Illusion überblendet jede Realität. Zwar kommt der nächste Kater ganz bestimmt, aber dann wird das grausam-schöne Spiel von neuem beginnen. Zum Beispiel für eine alternde Diva, die sich in ihrer Garderobe auf einen ihrer rar gewordenen Auftritte vorbereitet und von heftigem Verlangen zum heiß umworbenen Publikum und zum mindestens ebenso heftig geliebten Scotch plus Pillen umgetrieben wird. Marlene heißt das arme, alte Kind, das noch einmal die Weltstadt des Chansons, Paris, erobern will.
Die Engländerin Pam Gems hat mit Marlene ein attraktives „Stück mit Musik“ verfasst, dessen Bühnentauglichkeit sich aus der Intimität eines Kammerspiels speist und über die Besetzung der Hauptfigur suggestive Kraft gewinnt. Das klappt an Mannheims Opernhaus mit Travestie-Star Georgette Dee – übrigens eine eingetragene Wortmarke - ausgezeichnet, weil der Mime außerordentlich intensiv in die schillernde Haut dieser zeitgeschichtlichen Figur Marlene Dietrich schlüpft. Der über Konsonanten verzogene, rauchig patinierte Gesang der Diseuse überzeugt da ebenso wie die fahrige Geste in der Garderobe; perfekt gelingt die Pose, wenn Marlene-Georgette die Wahrheit verschleiern will und die Blumen für den Schlussapplaus bestellt, vorab ordnet und arrangiert und auch noch auf ein Blitzlichtgewitter hofft.
Nicht ganz so überzeugend scheint hingegen die etwas banale Dramaturgie des Stücks (Inszenierung: Christian Schlüter): zuerst Garderobenszene, dann der Auftritt, sprich: eine Nummernrevue jener Chansons, mit denen die Dietrich zu der „Dietrich“ wurde. Doch musikalisch klappt das prima im Arrangement von Michael Frei, der auch als Pianist „dienen“ darf, dabei Marlenes Privat-Faktotum Joe zur Seite: Der wuselt hin und her, setzt sich willenlos den Launen der Diva aus und versucht, deren irrationale Wünsche zu antizipieren. Romanus Fuhrmann spielt ihn angemessen devot und bleibt passend blass, weil das Stück nun einmal ganz auf den Star zentriert ist.
Marlenes Schlusslied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ klingt nur noch wie trauriger Spott. Ein Abgesang auf Scheinwelt und Weltflucht; so anrührend wie Marlenes Privatphilosophie „Angst haben die Menschen vor dem Leben, nicht vor dem Tod“.
Eckhard Britsch |
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