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Abstürze
Gabriele Rech hat offenbar die Thesen des österreichischen „Literaten“ Franz Schuh übernommen, nach denen „das Gute unterkomplex“ ist – und „ihre“ Manon ist eben nicht das leidende Opfer, sondern wird zur „komplexen“ Akteurin zwischen Täterin und Betroffener, zwischen Treterin und Getretener, zwischen Glanz und Elend, Leben und Tod. Manon ist zum einen Werkzeug ihres zuhälterischen Bruders – der sie prostituiert und ständig an ihr herumfummelt – zum anderen das selbst-akzeptierte „Party-Girl“, das unbegriffen von einem Absturz in den anderen stürzt, nie zur Liebe findet, und den Des Grieux als eher lästige Episode empfindet. Ihr Tod wird zum – nun ja – unvermeidlichen Ende einer missglückten Show. Models dekorieren die Szene, die Agierenden werden zu Charaktermasken, die (Bühnen-)Realität wird zur demonstrativen Ansammlung gesellschaftskritischer Klischees. Da spielen menschliche Gefühle nur die Rolle als Katalysatoren analytischer Reflexion. Allein die demonstrative Vorführung der Huren in Le Havre demonstriert Gabriele Rechs Thema vom „Mitleid mit den Frauen“.
Und so geht Patrik Ringborg die Puccini-Partitur an: akribisch sezierend, auf alle Fälle „Sentimentalität“ vermeidend. Das Staatsorchester Kassel folgt einigermaßen präzis, beeindruckt durch abgestimmtes Zusammenspiel – und ist permanent in Harmonie mit dem Bühnengeschehen.
Mit Sara Eterno ist eine attraktive Manon zu erleben, die ihre Reize ausspielt, stimmlich mit enormer Variabilität überzeugt, inszenierungsgerecht über die erforderliche Härte in der Intonation verfügt, in den kapriziösen Höhen äußerst souveräne Sicherheit vermittelt und in allen Lagen restlos überzeugt. Keith Olsens Des Grieux gibt einen hoffnungslos verliebten Charakter, singt entsprechend zurückhaltend, kontrastiert mit eher „weicher“ Phrasierung, verzichtet auf triumphale Höhen. Geani Brad ist der kokain-schnupfende eklige Bruder mit wenig durchschlagskräftiger Stimme; Johannes An wird als Edmond zur vernachlässigten Nebenfigur, Krzysztof Borysiewicz bleibt als Geronte nur der gleichförmig-asige Gesang; und allein Inna Kalinana verbleibt als „Musiker“ die Chance zu stimmlicher Präsentation. Der Chor bleibt Dekor, gewinnt wenig an Präsenz, vermag aber auch nicht durch besondere Spielfreude zu faszinieren.
Dieter Richters Bühne stellt unterschiedlich akzentuierte Räume in den Raum: einen spröden Wartesaal, ein pompöses Separee, eine Kontrollstelle, eine disparate Ruine vergangener Pracht – atmosphärisch dicht, aber ohne Imagination in Bezug zum „inneren Drama“.
Das geduldige Publikum wird offensichtlich mit der Inkongruenz von Vorlage und Bühnenhandeln nicht vertraut, rebelliert nicht, kann sich aber mit dieser Form von Dekonstruktion nicht anfreunden. Respektvoller Applaus ohne Enthusiasmus.
Franz R. Stuke
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