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Das waghalsige Spiel mit der Zeit
Robert Tannenbaum möchte mit seiner Inszenierung für die Karlsruher Erstaufführung
von Verdis "Luisa Miller" keinen künstlichen tieferen Sinn hervorheben,
sondern sich auf die Beziehung zwischen dem romantischen Schein und der
brodelnden Unterwelt konzentrieren. Den Besucher erwarten keine Schockeffekte
oder überraschenden Wendungen. Dennoch besticht die Interpretation aufgrund
der angenehmen Mischung von Tradition und Moderne. Im Mittelpunkt stehen
Emotionen und das Schicksal der Protagonisten.
Die Bühne (Christian Floeren) wird beherrscht von einer überdimensionalen
Kuckucksuhr, die nicht nur als Symbol, sondern auch als Spielstätte für
alle Akte fungiert. Das Zifferblatt als offener Ort, die beengte Stube
des pensionierten Soldaten im Inneren und das sterile Uhrenwerk als kaltes
Machtzentrum. Diese Komplexität hat den Vorteil, dass aufwendige Szenenwechsel
entfallen, aber leider bewirkt die räumliche Enge akustische Veränderungen.
Zudem ist die bauliche Struktur eher waghalsig - seien es die Uhrzeiger,
über die die Sänger stolpern können, oder eine offene Luke. Die Kostüme
(Ute Frühling) sind vorwiegend traditionell und schlicht, und fügen sich
gut in den Gesamteindruck ein.
Nach einer Erkrankung der Hauptdarstellerin übernahm Paola Romanò kurzfristig
die Rolle der Luisa Miller. Im ersten Akt wirkte sie noch unauffällig
und zwischen den Mächten hin- und hergeschoben. Aber nach der Pause entfalteten
sich nicht nur ihre sanglichen Darbietungen, sondern auch ihre Überzeugungskraft
und ihre emotionalen Darstellungen. Auch Keith Ikaia-Purdy, der sich während
der Proben verletzt hatte, begeisterte das Publikum mit seiner gefühlvollen
Interpretation des Rodolfo. Er wirkte im Vergleich mit dem Graf von Walter
weniger unerbittlich und gelegentlich fast weich. Zu dem ehrgeizigen Grafen
passte jedoch sehr gut Ulrich Schneiders sonore Stimme und die kühle Distanz.
Auch Luisas Vater, dargestellt von Tero Hannula lebte sich in seine Rolle
ein. Ein kräftigerer Gesang hätte jedoch sein schauspielerisches Können
noch mehr unterstützt. Der Burgverwalter Wurm wurde von Luiz Molz herrlich
passend repräsentiert. Überheblich und von sich selbst überzeugt wankt
er in seiner Selbstherrlichkeit nur im Angesicht der Niederlage. Die Herzogin
(Ulrike Helzel) strahlt, im wahrsten Sinne des Wortes, über dem Rest der
Gesellschaft. Obwohl sie kaum die Gelegenheit bekommt, ihre schauspielerischen
Fähigkeiten zu beweisen, erfreut sie das Publikum mit ihrer warmen und
klaren Stimme.
Die Badische Staatskapelle wurde geleitet von Uwe Sandner. Er betonte
die romantischen Elemente der Musik und dirigierte sehr breit und mit
viel Pathos. Leider passte dies nicht immer zu der Handlung, so dass beispielsweise
das Leid des Vaters über die Schmach der Tochter musikalisch eher an ein
beginnendes Volksfest erinnerte.
Das Publikum des leider nicht voll besetzten Hauses zeigte sich im Schlussapplaus
begeistert und feierte insbesondere Keith Ikaia-Purdy, der dies auch offensichtlich
schätzte. Insgesamt empfanden es die meisten wohl als angenehme und interessante,
aber nicht provozierende Erstaufführung von "Luisa Miller" im Badischen
Staatstheater. (mf) |
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