Zuhause bei den Manns
Wie wichtig und entscheidend kann doch manchmal ein Programmheft sein, in dem der Regisseur dem Theaterbesucher einen Einblick in dessen Ideenwelt gewährt. Denn wie sonst käme man als ahnungsloser Zuschauer wohl auf den Gedanken, dass Philipp Kochheim „eine Art Parallelfamilie“ zur Familie Mann entwirft, „in der man die Konflikte der Opernhandlung sowohl spiegeln wie auch fokussieren und verschärfen konnte“. In dieser Konstellation verkörpert Landgraf Hermann Thomas Mann, Tannhäuser ist sein Sohn Klaus und Venus dessen Schwester Erika.
Ein wahrlich bis ins letzte Detail durchdachtes Regiekonzept, für welches Kochheim im vergangenen Jahr mit dem Götz-Friedrich-Preis ausgezeichnet wurde. Keine Frage: Die Regie ist nicht nur ausgefeilt, sondern macht auch Sinn. Dennoch wird der Bezug zum Mann-Clan bühnenimmanent nicht erkennbar und bleibt dem unvorbereiteten Zuschauer verborgen. Das muss als kleiner Schönheitsfehler einer ansonsten höchst eindrucksvollen Inszenierung einfach deutlich gemacht werden.
Thomas Gruber entwirft dazu einen großzügig angelegten Salon, in dem im zweiten Aufzug auch der Sängerstreit ausgetragen wird. Der dritte Akt schließlich spielt - mit einer orientierungslosen alkoholsüchtigen Venus und einem gebrochenen, drogenabhängigen Tannhäuser – im kalten, kargen Raum (ein Sanatorium? ein Vernichtungslager?); nichts bleibt hier mehr übrig vom pompösen, großbürgerlichen Ambiente.
Dirigent Volker Christ leitet das Philharmonische Orchester im akustisch nicht ganz unproblematischen Theater Heilbronn souverän, zügig im Tempo, bewusst zurückhaltend bei der Sänger-Begleitung.
Überzeugen kann auch das gut aufgelegte Ensemble des Heidelberger Theaters. Winfrid Mikus ist ein nicht immer kraftvoller, dafür aber individuell gefärbter Tannhäuser; Wilfried Staber (Hermann) singt einen wunderbar sonoren Bass; Gergana Geleva bietet als Elisabeth die herausragende Partie des Abends; Lona Culmer-Schellbach, kurzfristig für die erkrankte Gundula Schneider eingesprungen, könnte die Venus zwar ein wenig zurückhaltender präsentieren, dennoch ist ihr voluminöser Sopran absolut hörenswert. Ordentlich besetzt sind auch die übrigen Rollen. Dazu gelingt dem Chor (Leitung: Tarmo Vaask) eine wirklich starke Leistung.
Das Heilbronner Publikum lässt sich auf die sehr eigenwillige Interpretation des Regisseurs ein, verfolgt die Aufführung aufmerksam und bedankt sich am Ende mit viel Beifall. Die nervigen Huster lassen sich wohl in dieser erkältungsreichen Zeit nicht vermeiden, sind aber immer wieder ein unbefriedigender Störfaktor. (cd)
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