Künstlerische Freiheiten
Wer Gluck erwartete, der wurde enttäuscht. Von seiner Reformoper „Orpheus und Eurydike“ bleibt in Philipp Kochheims Inszenierung nicht einmal der Name, nur die Musik. Doch auch diese wird immer wieder von langen gesprochenen Dialogen unterbrochen. Keine schlechte Idee, doch leider sind gute Sänger nur selten auch gute Schauspieler.
Kochheim transferiert den antiken Mythos in die heutige Zeit: Nach dem Tod seiner Eurydike flüchtet sich Orpheus in sexuelle Affären. Doch sie helfen ihm nicht über den Verlust hinweg, die wechselnden Gespielinnen scheitern an der verklärten Erinnerung an seine verlorene große Liebe. Im Drogenrausch erscheint ihm Eurydike, doch auch sie glaubt, dem Bild nicht standhalten zu können, das Orpheus sich von ihr gemacht hat. Sie stirbt erneut, Orpheus jedoch beginnt zu zweifeln, ob er sie überhaupt je besessen hat.
Unterstützt wird dies durch das – ebenfalls von Kochheim entworfene – Bühnenbild. Eine modern eingerichtete, aber sterile Singlewohnung spiegelt Orpheus’ Traumbild wider: Alles perfekter Schein, doch ohne Persönlichkeit.
Kochheims Regie-Idee, die Furien als vier enttäuschte und arg klischeehafte Ex-Freundinnen auftreten zu lassen, hat großen Unterhaltungswert. Gesanglich sticht unter ihnen besonders Feline Knabe als Lisa hervor. Ihr auch in den Höhen weicher Mezzosopran verleiht selbst den textlich weniger gelungenen Passagen des modernisierten Librettos von Barbara Hass (z.B. „Welch ein perverses Verlangen, ey Mann, das ist ja krass“) lyrischen Glanz. Hervorzuheben ist auch Anne Ellersiek als Eurydike mit mal strahlendem, mal fein nuanciertem Sopran. Michael Müller-Deeken wird der emotional alle Extreme durchlaufenden Rolle des Orpheus dagegen nicht gerecht. Sein kraftvoller Bariton, beständig anschwellend und voll Pathos, bleibt stimmlich zu eindimensional.
Dem zahlenmäßig kleinen Kammerorchester unter der Leitung von Klaus D. Jung bleibt in Kochheims Inszenierung nur eine Nebenrolle. Nach einem couragierten und viel versprechenden Beginn spielt es tapfer gegen das Bühnengeschehen an (scheppernde Töpfe und zuschlagende Türen). Die von Gluck angestrebte Einheit zwischen Musik und Handlung kann es jedoch nicht herstellen: Die langen Pausen zwischen den einzelnen Arien und Rezitativen verhindern jeden musikalischen Fluss. Kleinere Konzentrationsfehler sind die Folge.
Das Unterhaltung suchende Publikum verfolgt das Bühnengeschehen amüsiert und genießt den privaten Wohlfühl-Charme des Allee-Theaters. Wo sonst kann man nach der Aufführung so ungezwungen mit den Künstlern selbst ins Gespräch kommen?
Daniel Bühlow
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