Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

CANTOR - DIE VERMESSUNG DES UNENDLICHEN
(Ingomar Grünauer)
10. November 2006 (Uraufführung)

Opernhaus Halle

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


Tickets

(0345) 20 50 222

 

zurück       Leserbrief

Rien ne va plus

Im Unendlichen treffen sich zwei Variablen: Alles und Nichts. Alles ist möglich und nichts wirklich zu fassen. Deshalb auch die Frage: Wie passt das Thema der Unendlichkeit in ein klangbildlich begrenztes Opernwerk? Mit der Prominenz des 1200-jährigen Stadtjubiläums auf dem Buckel, stellte sich die Oper Halle dieser Herausforderung und vergab den Auftrag, eine Oper über den Mathematiker Georg Cantor (1845-1918) zu komponieren.

Dessen Leben erscheint in Ingomar Grünauers Komposition als expressionistischer seelischer Ausnahmezustand eines existenziellen Konfliktes. Cantor ist getrieben von seinem inneren Drang, das Unendliche zu beweisen und gerät an mathematische und menschliche Grenzen, die ihn bis an den Rand des Wahnsinns treiben. Am Ende geht nichts mehr – „Rien ne va plus“, wie er selbst häufig aufschluchzt – nur die Musik seiner Violine spendet ihm noch Trost. Den Flügeln des Ikarus gleich verbrennen seine Hoffnungen auf die Freiheit der Mathematik.

Wo menschliche Grenzen dem Leben Cantors eine Form aufstülpten, versuchte die Inszenierung von G. H. Seebach entzweiende Formspiele gegen zu setzen. Wie eine Art transparenter Reflektor spaltete und spiegelte sich der Bühnenraum von Hartmut Schörghofer und schien von allen Seiten auf den Angelpunkt Cantor einzudringen.

Psychischen Antrieb erhielt der zum Pingpongball mutierte Cantor von klanglichen Materialien, die aus jeder Ecke ihren Bachschen Ursprung weiter zerstückelten. Roger Epple bewies mit Leichtigkeit, wie er die einzeln über den Opernraum verteilten Musiker der Staatskapelle Halle sinnträchtig vereinte. Hervorzuheben ist auch die ausgezeichnete Leistung der genau aufeinander abgestimmten Chöre unter der Leitung von Jens Petereit.

Die Reaktionen der auf Axel Köhler zugeschnittenen Rolle des Cantor fügten sich ganz in die Materialsymbiose ein: je nach Laune und Lage äußerte er sich als Countertenor, Bariton oder Violinist. Doch schon hier deutete sich ein wesentliches Problem der Oper an: unendliche Vielfalt erzeugte nicht gleichzeitig endlose Intensität. Sehr eindringlich vermochte dagegen Melanie Hirsch den Vorahnungen von Cantors Tochter Else Gehör verschaffen. Ebenso verkörperte Anke Berndt als Cantors Ehefrau Vally die Wärme aber auch Ausgeliefertheit der Familie gegenüber dem schutzlosen Streben nach Wahrheit, welches Kronecker (Jürgen Trekel) und die drei Mathematiker (Björn Christian Kuhn, Olaf Schröder und Ki-Hyun Park) argwöhnisch, aber unterhaltsam, beäugten.

Dennoch, der hier geleistete Kraftaufwand entschädigte nicht für die teils langatmigen Formvarianten des immer gleichen Stoffes. Hinter der äußerlich grenzenlosen Transparenz erschien häufig nur der Eindruck begrenzter Möglichkeiten und die Frage nach der Darstellbarkeit des Unendlichen rückte in weiter Ferne. (mk)


Fotos: © Gert Kiermeyer