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Fakten zur Aufführung 

SAUSER AUS ITALIEN. EINE URHEBEREI
(Giacinto Scelsi/Christoph Marthaler)
4. September 2007


RuhrTriennale
(Zeche Zweckel Gladbeck)

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Gesang

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Die Weiterentdeckung der Langsamkeit


Einen denkwürdig-absonderlichen Abend präsentierte die RuhrTriennale als Koproduktionspartner der Salzburger Festspiele und deren diesjährigem Giacinto Scelsi-Projekt "Kontinent Scelsi" in der Maschinenhalle der Zeche Zweckel in Gladbeck: "Sauser aus Italien, eine Urheberei." Der Schweizer Regisseur parallelisiert hier Musik, die nicht für die Szene komponiert wurde, mit dem Figuren- und Aktionsalphabet aus dem Marthaleruniversum - ein Verfahren, dass sich schon bei der ersten RuhrTriennale im Schubert-Projekt "Die schöne Müllerin" bewährte.

Grundlage der Aufführung sind zehn Instrumentalkompositionen Giacinto Scelsis (1905-1988), hervorragend gespielt, sehr einfühlsam und idiomatisch, von 23 Musikern des Klangforum Wien. Die Musiker sind wie die Schauspieler gekleidet in den verblichenen Schick der 70er Jahre (Kostüme: Sarah Schittek) und sind damit auch optisch bestens eingebettet in die Szene. Sie spielen in unterschiedlicher Besetzungsstärke, von Solostücken für Klavier (Action Music Nr. 1, 1954; Aitsi, 1974), Kontrabass (Mantram – Canto Anonimo (1987), Trompete (Quattro Pezzi, 1956) und Gitarre (Ko-Tha, 1967), das Duo für Violine und Violoncello (1965) über das Trio für Harfe, Kontrabass und Tamtam Okonagon (1968), das 4. und 5. Streichquartett (1964 und 1984/85) bis hin zum recht groß besetzten Anahit, Poème lyrique dédié à Vénus für Violine solo und 18 Instrumente.

Das detailverliebte Bühnenbild im Stil von Anna Viebrock, doch realisiert von Duri Bischoff, skizziert ein zweietagiges, schon abgewohntes Apartmenthaus - Marthaler liebt den Verfall - mit Frühstückspension im Stil der 50er/60er Jahre. Ein klischeehafter wilder Antennenwald auf dem Dach und die Farbigkeit lassen an Italien denken, das Ambiente schließt damit an die Frühzeit des Italientourismus der Nachkriegszeit an, zeitlich passend zur Entstehung der ausgewählten Kompositionen Scelsis. Die Solisten spielen wie die Schauspieler an wechselnden Orten des Hauses, die Quartette etwa in einem Zimmer im 1. Stock, was der Einheit der Aufführung sehr entgegenkommt.

Diese Bühne dient nun als Spielfläche für die marthaler-üblichen minimalistischen Slapsticks. Man sieht seine schrulligen, verdrehten Typen bei meist absonderlichen Handlungen, die liebevoll und en detail ausgearbeitet und choreografiert sind. Die zahlreichen repetitiven Momente des Marthalerschen Theaters der Skurrilität und Langsamkeit zerdehnen die ohnehin langsamen Aktionen noch weiter. Man könnte die weitgehend stumm dargebrachten Handlungen als Wirkungsstudie zur suggestiven Instrumentalmusik Scelsis auffassen, wenngleich keine direkten Korrespondenzen zwischen Musik und Aktion auszumachen sind, somit ist es eher eine Wirkungsstudie hinsichtlich des Marthalerschen Ingeniums. Die Klaviermusik wurde in Korrespondenz gebracht zu einem lähmenden Frühstück in der Pension. Während des ganzen Abends wird tropfnasse XXL-Unterwäsche aufgehängt, die auch schon mal auf ein Instrument fällt. Ein Bibliotheksregal, vielleicht ein Scelsi-Archiv, wird im Zeitlupentempo in Augenschein genommen - das alles in Marthalers gewohnt minutiös präziser Regie. Man hört einige wenige pointierte Sätze – "Seit mehr als 2000 Jahren rächt sich Jesus Christus dafür, dass er nicht auf einem Sofa gestorben ist" – , die ebenso wie die Inszenierung zwischen Tiefsinn und Witz changieren.

Ob das nun zusammenpasst ist schwer zu sagen. Die Musik Scelsis hat eine enorme Sogwirkung, tendiert eher zum Meditativen als zur Aktion. Scelsi komponierte seine Musik meist improvisierend und ließ das Notenbild später anhand von Bandaufnahmen erstellen, oft von Mitarbeitern, was temporär zu Streitigkeiten über die 'wahre' Urheberschaft führte, daher der Untertitel eine "Urheberei". [Sauser, ein Federweißer, wurde angeblich bei der Verabredung des Projektes zwischen Marthaler und dem Auftraggeber bei den Salzburger Festspielen Markus Hinterhäuser getrunken und hat sonst keinen Bezug zum Stück.] Die Musik ist ganz auf Klang aus, auf die Entwicklung, Ausbreitung und Farbigkeit des Klanges, dabei oft einzelne Töne analysierend. Sie ist stimmungsvoll und intensiv, tranceartig - humorvoll oder witzig ist die Musik hingegen nicht. Marthaler ist in dieser Produktion Marthaler wie man ihn eben kennt: alles tendiert zum Merkwürdigen, Ironischen, manchmal bis hin zum Peinlichen. Man kann nicht sagen, dass er Scelsi bebildert. Er hat Einfälle zu der Musik und gestaltet mit diesen Einfällen eine suggestive Bild- und Handlungsebene, während die Musik handlungsarm ist. Die Langsamkeit Marthalers steht neben der meditativen Stimmung Scelsis. Zu einer Passung kommt es nicht, da Langsamkeit und Meditation eben nicht deckungsgleich sind.

Man kann aber keinesfalls sagen, dass es sich um einen missglückten Abend gehandelt hat. Das Klangforum Wien mit seinen mehrheitlich als Solisten agierenden Musikern brachte Scelsi ganz faszinierend zu Gehör. Die acht Schauspieler des Marthaler Ensembles, darunter Bettina Stucky und Graham F. Valentine, haben einen kaum noch steigerungsfähigen Perfektionsgrad in der Verbildlichung der Marthaler-Welt erreicht. Erst zögerlicher, dann enthusiastischer Beifall. (du)

 

 


Fotos: Michael Kneffel