Such is life
Wunderbar: Die Gelsenkirchener Dreigroschenoper versucht keine konkrete „Aktualisierung“ (was in der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen „Krise“ nahe gelegen hätte), besinnt sich vielmehr auf John Gays Beggars Opera aus dem 17. Jahrhundert und das Brecht/Weill-Original von 1928 – vertraut auf die interpretierende Kompetenz des Publikums!
Dirk Beckers Bühne im kompakt-intimen Kleinen Haus verzichtet auf realistische Bauten, betont auf der offenen Bühne akzentuierende Attrappen, erinnert sich der kommunikativen Funktion der „Brecht-Gardine“, schafft mit wenigen „sprechenden“ Requisiten deutungs-dichte Spielräume. Renée Listerdal steckt die Protagonisten in Kostüme wie aus Peachums Verkleidungs-Fundus – der Coup funktioniert, gibt dem Abend optischen Charakter!
Michael Schulz inszeniert Brechtsches Theater, lässt die Protagonisten ihre Intentionen lakonisch verkünden, fokussiert das Geschehen auf intensive individuelle Szenen. Es gelingt der permanente Eindruck einer Polit-Farce mit kritischer „Botschaft“!
Die Musiker der Neuen Philharmonie Westfalen sind fast auf Bühnenhöhe platziert, sind sichtlich hoch konzentriert bei der Sache, überzeugen durch solistische Kompetenz und durch Perfektion im Zusammenspiel der Instrumenten-Gruppen. Johannes Klumpp dirigiert sehr aufmerksam zu einem differenzierenden Weill-Klang mit Akzentuierung der Musik-Stile der Zwanziger Jahre: rhythmisch sicher, in den „Highlights“ eher spröde, unterstützend in der Begleitung und Verstärkung der Solisten.
Lars-Oliver Rühl ist ein arroganter Macheath, Joachim G. Maass ein korrupter Tiger Brown, Birgit Brusselmans eine durchblickende Lucy, Judith Jakob eine quirlige Polly; sie alle beeindrucken mit engagiertem Spiel und stimmlicher Kompetenz - so wie Charles E. J. Moulton, Norman Warmuth, Carsten Kirchmeier, E. Mark Murphy und Wolf-Rüdiger Klimm, Christa Platzer als Mitglieder der Peachum- und Macheath-Gangs ihre Rollen eindrucksvoll ausfüllen – mit verfremdetem Spiel und der erforderlichen stimmlichen Gebrochenheit.
William Saetre ist eine hinreißende Karikatur der Mrs. Peachum, beeindruckt mit genregerechter rauchiger Stimme. Und der kleinwüchsige Rüdiger Frank ist ein aasiger Peachum – ein lausiger „Giftzwerg“ mit stimmlichen Variationsmöglichkeiten, mit geradezu phänomenaler „Bühnenpräsenz"!
Das Gelsenkirchener Publikum identifiziert sich durchaus mit dem Stück als Parabel auf das „wirkliche Leben“ im hemmungslosen Bereicherungs-System, „genießt“ aggressive Musik und komödiantisches Spiel - diskutiert nach Schluss aber auch über die politischen Inhalte. „Theater ist Aufklärung mit den Mitteln der Unterhaltung“ (Bertolt Brecht) - in Gelsenkirchen ist genau das zu erleben!
Franz R. Stuke
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