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Fakten zur Aufführung 

DIE HERZOGIN VON CHICAGO
(Emmerich Kálmán)
28. Februar 2009 (Premiere)

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Points of Honor                      

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Gesang

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Die Operette lebt ?!?

Mit einer Operette will Tihanyi, der Direktor des Großen Theaters sein Haus aufmöbeln und ihm neuen Schwung geben. Was ist zu tun? Ein großes Casting wird terminiert. Aus dem Zuschauerraum des Musiktheaters im Revier strömen die Freiwilligen herbei. Jeder möchte gern einmal den Operettenprinzen spielen und auch für die Rolle der forschen amerikanischen Millionärstochter Miss Mary Lloyd findet sich schnell eine Bewerberin. So kann das Spiel ja eigentlich losgehen: Emmerich Kálmáns Herzogin von Chicago soll es sein, ein selten gespieltes Stück, in dem es um den Gegensatz von Moderne und Tradition, altem Europa und neuer Welt geht.

Die Proben werden immer wieder unterbrochen und vom Theaterdirektor kommentiert. Ziemlich schnell wird klar: hier wird exemplarisch hinterfragt, wie es um sie steht, um die Gattung Operette. Ist sie überhaupt noch zeitgemäß? Oder hat das Saxofon die schluchzenden Geigen und ihre Walzerklänge längst verdrängt?

Dirk Becker baut einen Theaterraum mit Clubatmosphäre: vor schwarz ausgeschlagenen Wänden sitzt das Orchester in Stufen entlang einer veritablen Showtreppe, während im Vordergrund eine Drehbühne (der Plattenteller eines alten Grammophons) den Handlungsmittelpunkt bildet. Auf diesem Szenario erörtert Regisseurin Gabriele Rech diese Frage auf eine überaus unterhaltsame Art und Weise. Dabei spielt sie mit Operettenklischees, natürlich. So werden Militärmärsche vom trommelnden Kinderchor interpretiert und mit eiligst herangeschafften Blumengirlanden geschmückt. Der Wildwest-Schlager „Rose der Prärie“ wird zu einem köstlich-erotischen Rodeo-Ritt auf einem künstlich-mechanischem Plüschbullen.

Rech nimmt gleichzeitig aber auch den Theaterbetrieb aufs Korn: die Schwierigkeiten der Geldbeschaffung, Lücken im Kostümfundus und vieles mehr. Auch ein Wortgefecht im Orchester macht sich breit, wer denn eigentlich das wichtigste Instrument spielt. Herrlich auch, wie sich die Sänger der Hauptrollen in ihren Muttersprachen vorstellen.

Vielschichtige Aspekte bringt Rech so in ihre Inszenierung ein (natürlich auch ein paar aktuelle Anspielungen auf die Finanz- und Wirtschaftskrise), verliert aber nie das Bühnengeschehen aus den Augen. Jede einzelne Figur (in nie knallbunten, dennoch Akzente setzenden Kostümen von Renée Listerdal) hat ihre Aufgabe. Dabei entwickeln sich immer wieder einmal kleine Szenen, die jedoch nicht vom Hauptgeschehen ablenken.

Und das gesamte Gelsenkirchener Ensemble entwickelt einen ungeheuren Spaß an Spiel und Bewegung. Der Opernchor enthüllt nicht nur stimmliche, sondern in der Choreografie von Kati Farkas auch enorme tänzerische Fähigkeiten. Ein toller Einfall ist die Einbindung des Standard-Tanzpaares Sandra Wissmann und Sven Reichelt, die alle Akteure zu Walzerschritten animieren, aber auch durch ihre eleganten Solo-Darbietungen für Ruhepunkte zwischen den Szenen sorgen.

Wunderbar besetzt sind bereits die kleineren Rollen, hervorzuheben hier Wolf-Rüdiger Klimt als urkomisches Theaterfaktotum Kompoty und William Saetre und Piotr Prochera als Geheimagenten Dividendowitsch und Provisionow. Alfia Kamalova als Harfe spielende, lispelnde Rosemarie und E. Mark Murphy als Mr. Bondy geben ein herrliches Paar, das mit frischen, sicheren Stimmen und gekonnten Tanzeinlagen für heitere Momente sorgt.

Lars Rühls Tenor ist wie geschaffen für den Operettenprinzen: ausgeglichen, mit gutem Fundament, exakt erreichten Höhen und schönem Timbre gibt er den Amerika-Hasser Sándor. Ein kleiner Kritikpunkt betrifft Majken Bjerno als Mary. Sie verfügt fraglos über eine große Stimme. Das hat sie in Gelsenkirchen schon auf das Feinste als Aida bewiesen. Für die auch auf Wortwitz aufbauende Kálmán-Operette jedoch mangelt es ihr leider erheblich an Textverständlichkeit. Daran sollte unbedingt gearbeitet werden.

Die Neue Philharmonie Westfalen unter Till Drömann ist eine hervorragende Partnerin für einen hervorragenden Theaterabend. Feuriger Czárdás und swingender Charleston sind die Würze für sehnsuchtsvolle Operetten-Romantik. Großen Beifall spendete das gut mitgehende Premierenpublikum. Einige irritierte Buhs gingen schlichtweg unter.

Doch war den Liebespaaren ein Happy End verwehrt. Frustriert packten die Orchestermusiker ihre Instrumente ein und verließen wie in Joseph Haydns „Abschiedssinfonie“ die Bühne mitten im Spiel. Am Schluss bot der Theaterdirektor, der gallig-bös agierende Rüdiger Frank, mit Blues-Röhre den Abgesang auf die Operette: Tom Waits’ „San Diego Serenade“. Das war’s dann wohl. Oder doch nicht so ganz? Wie heißt es da doch: „I never saw the morning, till I turned off the light“.

Dass die Operette nicht tot ist, haben Gabriele Rech und ihre Teams auf und hinter der Bühne eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Christoph Schulte im Walde

 










 
Fotos: © Pedro Malinowski