Jose der Psychopath
Radikales Kino auf der Opernbühne: Unfall, Rückblende, Jose erzählt von seinen rücksichtslosen Projektionen auf das Opfer seiner Begierden - Merimee-Texte aus dem Off, Verweise auf klassische Filmszenen (Oliver Stone, David Lynch) auf der Bühne. Immo Karamann inszeniert spektakulär mir filmischen Mitteln: Stop-Trick-Effekte, Schnitt-Technik, abrupt wechselnde Spielorte - Sevilla ist nur ein Name, der Stierkampf eine Metapher.
Johann Jörgs assoziationsreiche Spielräume zitieren Film-Sets; die verwirrend variierenden Orte sind Tat-Orte eines monomanischen Triebtäters, werden in Verbindung gehalten durch einen Straßenkreuzer im Road-Movie-Look.
Das phantastisch spielfreudige Gelsenkirchener Ensemble nimmt die inszenatorischen Vorgaben mit Hingabe auf, lässt sich auf das körperbetonte Spiel lustvoll ein. Christopher Lincoln gibt den emotional verwahrlosten Jose mit grandios-irrem Spiel, brilliert mit ausdrucksstarker Phrasierung, verzichtet auf tenoralen Glanz. Anna Agathonos beeindruckt als selbstbewusste Carmen mit divergierenden Charakteren: vom Cat-Walk-Star zum Stalker-Opfer – das soll ihr eine Opernsängerin erst einmal nachmachen! Auch sie sucht ihre stimmlichen Qualitäten nicht in den Klischees der Mezzo-Hispaniata. Escamillo ist ein aggressions-stimulierendes Element – Jee Hyun Kim erledigt diese Aufgabe mit maskuliner Statur und kernigem Bariton. Für die Micaela ist im Jose-focussierten Regiekonzept offenbar keine schlüssige Rolle gefunden worden – Hrachuhl Bassenz singt die gefühlvollen Arien mit viel Emotion und geschmeidiger Stimmkultur. Die weiteren Rollen sind kompetent besetzt, der Chor vermittelt spielfreudiges kollektives Handeln und Singen.
Cosima Sophia Osthoff übernimmt mit der Neuen Philharmonie Westfalen die Funktion der „Filmmusik“: permanente Übereinstimmung mit dem dramatisch zugespitzten Bühnengeschehen geht vor orchestralen Glanz.
Im begeisterungsfähigen Gelsenkirchener Publikum – das im übrigen ein Ruhr-Publikum ist! – haben nicht wenige Zuschauer Probleme mit der Dechiffrierung der filmischen Anleihen. Am Schluss jedoch: große Begeisterung! (frs)
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