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Fakten zur Aufführung 

ARIADNE AUF NAXOS
(Richard Strauss)
12. November 2009
(Premiere: 23. Oktober 2009)

Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


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Depressionen einer Diva

Hofmannsthals/Strauss’ Ariadne ist ein „Problem-Stück“ – was das Verstehen der Mixtur von plakativer Ignoranz, Parodie auf die Theaterszene und die entsprechend verfremdete griechische Mythologie betrifft: Szenisch eine kaum umsetzbare Geschichte, musikalisch mit den enormen Diskrepanzen eine Herausforderung für Musiker und SängerInnen mit extremen Formen rezitativischen Singens über lyrische Passagen bis zu exaltierten Höhen. Umso wichtiger: der einleuchtende Einfall eines überzeugenden Inszenierungskonzepts.

Und da hapert’s im MiR: Ein junges Regieteam adaptiert Ansätze progressiven dekonstruierenden Theaters – missversteht aber die Prinzipien der „Wahrung der Substanz des Werks“ und des „adäquaten Bühnenhandelns“ (Konwitschny). Schon der Beginn mit Udo Jürgens’ „Griechischem Wein“ weist auf nicht-angemessene Spontan-Ideen – und die Szene (ein gekacheltes Schwimmbad) ist nur mit viel Phantasie als Metapher für die Villa des reichsten Mannes von Wien bzw. als kahle Insel zu assoziieren; ist vielmehr ein abgegriffenes pseudo-hinterfragendes Bild. Interessant allerdings die Idee, zwischen dem Vorspiel und dem Naxos-Akt einen Zeitsprung zu insinuieren - und die Ariadne als depressive Diva zu skizzieren, die erst durch einen „neuen“ Mann zu neuem Leben erweckt wird, der allerdings in der Zerbinetta als Wiedergeburt der zerstörerischen Circe seine Liebe zu Ariadne erkennt. Verworren? Na klar! Das Regie-Team hat offenbar Spaß am Verwirrspiel – lässt allerdings das Publikum mit all dem Jokus allein. In der Einführung wird dem Besucher, der den „roten Faden“ entdeckt, eine Freikarte versprochen! (Kommunikations-orientiertes Theater sollte dem Besucher, der den „roten Faden“ nicht entdeckt, ’ne Freikarte spendieren!)

Agiert wird lustvoll-chaotisch, wechselnde Beziehungen schaffen quirliges Geschehen – doch das permanente Hin und Her schafft keine Orientierung! Die Regie von Michaela Dicu und Winnie Karnofka ist hochgradig bemüht, ohne schlüssige Konsequenz.

Vera Kochs Badebecken verströmt naturalistisch-morbiden Charme, handwerklich perfekt - ein Bravo für die Bühnen-Handwerker! – aber bedeutungsvoll nur als Verweis auf diverse Vorbilder, in denen sich schon Figaro und Falstaff tummelten – allerdings weniger beliebig-skurril.

Rasmus Baumann hat es mit der Neuen Philharmonie Westfalen im akustisch begrenzten Kleinen Haus – platziert im Bühnen-Hintergrund – nicht leicht: kaum Chancen zur differenzierenden Hörbarkeit der Strauss-Exzentrik, kaum vermittelbar die schier unvorstellbare Dynamik. Doch die Routiniers machen das Beste aus der Situation: ausgewogenes Klangbild, funktionierendes Zusammenspiel der Instrumentengruppen, brillant aufspielende Solisten!

Diana Petrova gibt eine sexy Zerbinetta, gibt dem ambivalenten Flittchen bewundernswert variable Stimme, kostet die Koloraturen der großen Arie gekonnt aus, überspielt etwas spröde Höhen mit bravouröser Spielfreude. Majken Bjerno ist als verinnerlichende Ariadne mit reserviertem Charme präsent, interpretiert diesen ambivalenten Charakter mit ungemein klangschönem Sopran. Ricardo Tamura setzt seinen an Verdi und Puccini grandios erprobten Tenor im Strauss-Fach ein: sein Bacchus wird in den lyrischen Passagen lebendig, hat offensichtlich Konflikte mit den „modernen“ Strauss-Anforderungen. Uwe Schönebeck überzeugt als stoisch-ignoranter Haushofmeister; Björn Waag ist ein pseudo-diplomatischer Vermittler zwischen Geld und Kunst als Musiklehrer; die Harlekine – hier die Naxos-Band – sind mit E. Mark Murphy, Dong-Won Seo und William Saetre stimmlich und komödiantisch prima vertreten; und die Najaden Engjellushi Duka, Denitsa Pophrista und Alfia Kamalova sind bezaubernde Wesen mit glockenreinem Gesang. Schließlich Anna Agothonos: Sie ist der komödiantisch verfremdete Komponist, lebendige Leidenschaft für die (eigene) Kunst, auch auf Naxos den Rudimenten der Komposition frustriert nachspürend, sprühend vor Spielfreude, stimmlich präsent: Sie ist der „rote Faden“ in einem Labyrinth, das besser zur Cranger Kirmes passt als auf eine reflektierende Musiktheater-Bühne.

Sehr sympathisch, dass sich das Gelsenkirchener Publikum an Bildern, Musik, Gesang erfreut – ohne beckmesserische Maßstäbe anzulegen. Und in der Tat: Freude am lebenden Theater ist mehr als intellektuelle Analyse - ideal allerdings, wenn sich Spaß und Nachdenken treffen! Das scheitert allerdings schon, wenn die „Macher“ davon ausgehen, dass ihr Publikum das Konzept ohnehin nicht verstehen wird (s.o.)!

Franz R. Stuke

 








 
Fotos: Pedro Malinowski