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Das hat Rrrrasss so....
In der bundesdeutschen Operettenlandschaft stellt diese "Lustige Witwe"
etwas Besonderes dar. Um es gleich vorweg zu sagen: diese Witwe ist nicht
lustig, sondern, sarkastisch, bissig und aggressiv. Dietrich Hilsdorf
verlegt die Handlung in ein Pariser Luxushotel kurz vor Ausbruch des zweiten
Weltkrieges. Daraus folgt, dass über der gesamten Aufführung Endzeitstimmung
wie ein Damoklesschwert schwebt.
Die von Hilsdorf versammelte internationale Hochdiplomatie jener Tage
ignoriert diese bedrohliche politische Situation vollständig: Ihr einziges
Interesse gilt der millionenschweren Witwe Hanna Glawari. Um sie zu gewinnen,
ist jedes Mittel recht. Es wird intrigiert und kompromittiert ganz nach
Lust und Laune. Einer sentimentalen Operettenidylle erteilt Hilsdorf eine
klare Absage.
Selbst in Szenen, die diese suggerieren, wird die Idylle gebrochen: zum
Beispiel in der Eröffnungsszene des zweiten Aktes mit dem berühmten Viljalied.
Vor diesem Lied erscheint, wie aus dem Nichts, eine verzweifelte Frau,
deren Sohn einberufen wurde. Ihre sehr expressive und wortreiche Klage
mündet in dem Einleitungschor des Liedes, in dessen Verlauf ein Tänzer
in Uniform erscheint und mit blutverschmierten Händen und expressiven
Bewegungen das sentimentale Lied in einen Danse macabre verwandelt. Danach
werden diese Figuren von Njegus kurzerhand als Grisetten für den 3. Akt
engagiert. Klage der Frau verhallt im Nichts, die Realität wurde erfolgreich
ausgesperrt. Fürwahr: diese Welt ist schlecht und jeder ist käuflich.
Der Regie, die das Aggressionspotential des Stückes akzentuiert, steht
die auf Klangschönheit und Präzision bedachte musikalische Leitung von
Stefan Soltesz am Pult der Essener Philharmoniker kongenial gegenüber
und unterstreicht die hitzige Attitüde der Inszenierung. Die kleinen und
großen Grausamkeiten der Figuren werden in so fabelhaft schöne Musik gehüllt
und erhalten auf diese Weise schärfere Konturen. In musikalischer Hinsicht
bleiben keine Wünsche offen. Das engagierte, sublime und raffinierte Dirigat
von Stefan Soltesz verleiht dieser Witwe eine ungeahnte Schönheit. Selten
hört man dieses Stück so plastisch, differenziert und raffiniert. Soltesz
arbeitet die teilweise expressionistisch anmutenden Klangfarben dieser
Operette detailverliebt heraus und zeigt, wie zentral die Rolle des Orchesters
auch bei einer Operette sein kann, auch wenn es nicht so exponiert ist
wie in den großen Musikdramen von Strauss und Wagner.
Auch die Solisten lassen keine Wünsche offen: Marcela de Loa gab eine
Hanna Glawari von wirklich internationalem Format: vom zart gehauchten
Pianissimo bis hin zum vollen Stimmklang reicht ihre musikalische Ausdruckspalette,
die sie bei der musikalischen Gestaltung dieser doch nicht ganz anspruchslosen
Partie auch sinnhaft einzusetzen weiß. Astrid Kropp läuft in der Rolle
der Valencienne geradezu zu Hochformen auf: Sie gestaltet diese Partie
jenseits aller Operettenklischees und erweist sich (besonders im zweiten
Finale) als ebenbürtiger Widerpart zu Marcela de Loa. Auch Peter Bording
überzeugt als Danilo. Mit musikalischem Raffinement zeichnet er eine rebellische
Figur, die zielstrebig ihre Ziele verfolgt. Auch der Rest des Ensembles
ist musikalisch hervorragend und szenisch äußerst präsent.
Ein besonderes Lob muss am Ende noch Bernd Schindowski für die Choreographie
ausgesprochen werden. Hier werden keine gleichförmig agierenden Revuetänzerinnen
dargestellt, die am Begin des dritten Aktes zum allgemeinen Amusement
Cancan tanzen. Stattdessen sind alle von Anfang an die Handlung integriert
und entwickeln im Laufe der Zeit ein eigenes Profil.
Die Essener Aufführung präsentiert die "Lustige Witwe" jenseits aller
Operettenklischees, auf sehr hohem musikalischem und szenischem Niveau.
Sie ist ein schönes Beispiel, wie Operettenpflege heute aussehen könnte:
Sie präsentiert eine individuelle Interpretation des Stücks, und wiederholt
nicht tradierte Muster. Vielleicht ist es so möglich, die Gattung neuer
Publikumsschichten zu erschließen. (tk) |
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