Ein Chorkonzert
Das örtliche Ambiente stimmt: die Salzlager-Halle mit dem Kabakov-Bau, den den Babel-Turm erinnernd. Die Musica Antiqua Köln unter Peter Neumann (der Inspirator Reinhard Goebel hat offenbar resigniert) spielt die barocke Partitur in höchster Disziplin; die Instrumental-Solisten bereiten ästhetischen Hörgenuss. Das wunderbare Chorwerk Ruhr beweist seine stupende Qualität genrespezifischen Chorgesangs in perfekter Präzision. Die Gesangs-Solisten (Stephan Genz als David, Johannes Mannov als Goliath und das gesamte „Ensemble“) lassen klangschönen Keiser-Barock hören; Simone Kermes besticht mit einem strahlend-geschmeidigen Sopran (man möchte ihr stundenlang zuhören!).
Und doch, und doch: Das durch eine Pause unterbrochene Oratorium bleibt ein bemerkenswertes Chor-Konzert – der Funke barocker Empfindsamkeit, Keisers überwältigende Religiosität will sich nicht einstellen, der Eindruck perfekter Routine verhindert die Vermittlung barocker Leidenschaften. Das hat existenzielle Gründe: die Akustik des Industrie-Raums ist gekennzeichnet durch langen Nachhall; die Nutzung der rechteckigen Halle im „Querformet“ lässt an den Seitenplätzen möglicherweise die Töne verschwimmen; die Texte sind weitgehend unverständlich, sind bei diffusem Licht und grauer Schrift im Kleinformat auch nicht mitlesbar; Chor in schwarz-weiß, Solisten im Frack: von Imagination keine Spur – und das Publikum bleibt konservativ-rezeptiv, verbreitet keine spürbar-emotionale Bereitschaft barocker Empfindsamkeit.
Wenn man zurückdenkt an Hengelbrocks Balthasar-Neumann-Chor, an Purcell und „Melancholia“ – dann, ja dann ist der Abend ein sehr gutes Chor-Konzert, aber kein exzeptionelles Ruhr Triennale-Ereignis.
Anschließend zuhause auf Nord 3-TV die „Last night of the proms“: „Choir-singing is fundamental for us“ sagt der Dirigent in der Albert Hall und auf den Plätzen in Manchester und Swansea jubelt und singt eine enthusiasmierte Fangemeinde: so wird das Salzlager-Defizit per TV überdeutlich. (frs)
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