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Fakten zur Aufführung 

NABUCCO
(Giuseppe Verdi)
11. April 2009 (Premiere)

Aalto-Theater Essen


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Statische Gewalt

Die Geschichte des Volkes Israels ist eine der Verfolgung, der Zerstörung, der Auslöschung. Über Jahrtausende hinweg. Da ist das Geschehen rund um den babylonisch-assyrischen Herrscher Nabucco nur eine von vielen Episoden. Eine, die an Dramatik einiges zu bieten hat: Physische Gewalt gegen ein ganzes Volk, der Kampf Einzelner um Macht und Herrschaft, schäumende Emotionen im Hinblick auf zwischenmenschliche Beziehungen – Giuseppe Verdis Oper trumpft mit einer ganzen Menge Theatralik auf. Doch Andreas Baesler lässt die Möglichkeiten der Partitur weitgehend ungenutzt. All die Konflikte, sowohl die zwischen den einander feindlich gesonnen Völkern als auch den agierenden Hauptpersonen werden wohl durch Sprache und Gesang vermittelt – doch die Szene bleibt statisch, vom ersten bis zum letzten Akt. Von Dramatik, gar kitzelnder Spannung ist wenig spürbar. Stattdessen wird viel gestanden, auf dem Boden gehockt, gekniet. Der von Alexander Eberle prächtig einstudierte Chor der Hebräer: bei aller Individualität (etwa der Kostüme von Alfred Mayerhofer) bleibt er eine uniforme Masse, die sich nur kollektiv bewegt. Dann die Ensembles: Duette, Terzette etc. – da wird durchweg vorn an der Rampe gesungen, ohne dass sich die Protagonisten mal in die Augen sehen. Explodierende Gefühle, wie sie in der Musik aufbrechen, werden auf Harald Thors fleißig sich drehender Bühne allenfalls behauptet, aber nirgends beglaubigt. Die Kritik richtet sich schon an den Komponisten Verdi und seinen Librettisten: durchgeformte, sich im Laufe der Oper wandelnde Figuren sind weder Nabucco noch sein Neffe Ismaele, weder der Hohepriester Zaccaria noch Nabuccos Tochter Fenena. Dieses Manko indes könnte eine intelligente Regie mildern.

Baesler scheint eine Epochen übergreifende Nabucco-Geschichte erzählen zu wollen. Die Schergen der Babylonier kommen mit Maschinenpistolen daher, Nabucco trägt eine geradezu klassische abendländische Krone und einen blauen Königsmantel mit Hermelinbesatz, die eingepferchten Juden sitzen auf Koffern, die nicht ganz, aber fast an jene erinnern, mit denen sie unter den Nazis in die Gaskammern geschickt wurden. Einen tieferen Sinn legt Baesler nicht in dieses Werk, auch keinen erkennbaren Roten Faden, der das womöglich Überzeitliche, Epochen-übergreifende klarmachen könnte.

Dennoch hat die Essener Inszenierung ein Pfund, mit dem sie wuchern kann: Francesca Patané als machtgeile, mitunter furienhaft aufbrausende Abigaille, die rücksichtslos ihr Interesse durchsetzt, Nabuccos Königskrone samt Mantel nimmt – und schließlich doch voll und ganz scheitert. Die Patané hat ein singuläres Organ, eine Riesenstimme, die noch in den letzten Winkel des Aalto-Theaters dringt. In der Mittellage verlegt sie den Klang gern weit hinten in den Hals. Das ergibt einen ähnlich „topfigen“ Eindruck wie einst bei der Callas, die ganz zweifellos Patanés Vorbild sein soll. Denkbar, dass dieser Klang nicht jeden Geschmack bedient und trifft. Aber er setzt in dieser Inszenierung dramatische Akzente. An diese sängerdarstellerische Kraft reicht auch Michail Ryssov als missionarisch eifernder Zaccaria durchaus heran. Sein raumgreifender Bass kennt keinerlei Konditionsschwächen – was man von Marco Chingari in der Titelrolle nicht durchweg sagen kann. Im letzten Akt wirkt er leicht erschöpft und hauchig. Felipe Rojas Velozo gibt den Ismaele mit durchweg larmoyantem Unterton, Michael Haag kann den Oberpriester des Baal noch nicht mit der notwendigen stimmlichen Größe ausstatten. Bea Robein glänzt ganz zum Schluss in ihrer Arie „Oh dischiuso è il firmamento!“; Arman Manukyan (Abdallo) und Francisca Devos (Anna) füllen ihre Nebenrollen tadellos aus.

Am Pult der Essener Philharmoniker steht deren Erster Kapellmeister Noam Zur. Verdi zählt zu den Stärken dieses Orchesters. Und dies wird auch an diesem Premiereabend wieder deutlich, wenngleich der letzte Funke nicht recht überspringen möchte. Das macht sich auch im Publikum bemerkbar: selten einmal lässt es sich zu Zwischenapplaus auf offener Szene hinreißen, lau ist der Beifall zur Pause. Doch zum zweiten Teil sind alle wieder da. Am Ende ein paar Buhs und ein paar Bravi für Baesler und sein Regieteam, aber kein Jubel, wie man ihn sonst so oft in Essen erlebt.

Christoph Schulte im Walde

 








 
Fotos: Matthias Jung