|
Ruhrgebiet olé!
Temperament und Leidenschaft von der ersten Note an: Schon in der Ouvertüre zeigen die Essener Philharmoniker unter Leitung von Pietro Rizzo, warum Bizets Carmen zu den meistaufgeführten Opern unserer Zeit gehört. Jeder Ton stimmt, reißt mit, wirft tragische Schatten voraus – eine wahre Glanzleistung
Dietrich Hilsdorf holt den Zauber Spaniens ins Herz des Ruhrgebiets, genauer: nach Gelsenkirchen. In der Bar La Maritima (täuschend echte Pott-Kneipenkultur: Johannes Leiacker) treffen Bergleute auf Fabrikarbeiterinnen und Möchtegern-Ganoven à la Al Capone mit schmierigen Haaren auf nicht sehr arbeitswillige Polizisten. Die Regie-Idee geht auf, bietet Platz für zahlreiche Identifikationsmöglichkeiten und Wiedererkennungswerte. Mit rasanter Geschwindigkeit und farbenfroher Detailverliebtheit steuert die Inszenierung auf ihren dramatisch gut vorbereiteten tragischen Schlusspunkt hin. Schade jedoch, dass dieser selbst verhältnismäßig anteillos verhallt.
Auch die gesangliche Besetzung des Stückes ist von einnehmender Überzeugungskraft. Alina Gurinas Sopran (Carmen) birgt den mystischen Schein der Zigeunerin genauso wie die resolute Selbständigkeit, weist anfänglich einige störende Schärfen auf, brilliert aber in der Folge mit leidenschaftlich-variabler Nuancierung. Heiko Trinsinger als Torero scheint einer RTL-Freitag-Abend-Serie entsprungen, genießt sichtlich das Spiel mit den Rollen-Klischees, welches durch seinen kräftigen Bass adäquat unterstrichen wird. Sicher und variabel nuanciert auch Jeffrey Dowd als Don José, der besonders bei „La fleur“ bewegende stimmliche Kontur annimmt. Gesanglicher Höhepunkt des Abends jedoch Aga Mikolaj als Michaela: Mit unschuldig anmutender Reinheit scheint ihr Sopran im Raum zu schweben, schimmert anrührend vor verletzlicher Emotionalität und sorgt für Gänsehaut-Effekte.
Das bunt gemischte, erfreulich junge Publikum ist mitgerissen. Viele Angehörige der Kinderchorsänger – deren Auftritt allerdings eher störend wirkt - sind vertreten, doch auch viele Musikkenner, die dem hervorragenden Ruf der Essener Philharmoniker gefolgt sind, zeigen offen – und zu Recht - ihre Begeisterung. (jan)
|
|