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Musiktheater postmodern
In der bildenden Kunst ist das seit Magritte, Andy Warhol, Hanson, Hamilton konstituierend, die Ikonen des aktuellen kulturellen Lebens in irritierenden Konstellationen zu präsentieren und das kommunikative Durcheinander in den Köpfen weiter zu verwirren – Pop-Art eben, postmodern. Micha Hamel gelingt dieser Zugriff auf Leben und Erleben mit seiner Snow White nach dem experimentellen Roman von Donald Barthelme (1967) für das Musiktheater!
Da ist zum einen die absurd-verfremdete Schneewittchen-Geschichte, da sind zum anderen parodistische Anspielungen auf die Politik der Nixon-Zeit, da sind aber vor allem pointierte Zitate der Musiken von Adams (Nixon in China), Bernstein, Ligeti , da werden country music, Musical-Hits und Operetten-Themen zerlegt und neu zusammengesetzt – Selbstreferenz in brillanter Ironie, erkennbar und lustvoll hörenswert ohne gleichzeitiges Partitur-Studium. Quasi-Leitmotive strukturieren die so heterogenen Elemente, charakterisieren die bizarren Rollen, schaffen Zusammenhänge im kunstvollen akustischen Chaos, repräsentieren die komplex aus den Fugen geratene Welt.
Brillant das Nieuw Ensemble mit einer verblüffend „anachronistischen“ Instrumenten-Konstellation vom Cembalo bis zur Mundharmonika. Micha Hamel variiert die Klänge in permanentem Wechsel, und Ed Spanjaard sorgt für die virtuose Umsetzung – abrupte Rhythmus-Wechsel, erregende Dynamik, kalkulierte Stimmungs-Schwankungen, sensible Sängerbegleitung.
Rebecca von Lipinski singt Snow White mit grandios hellem Timbre im Stil eines effektorientierten Musical-Stars, wechselt zur gekonnten Sprechgesang-Attitüde und verliert sich in lyrische Passagen. Die sieben Zwerge intonieren sowohl individuell als auch im Ensemble höchst variabel (Brad Cooper, Robert Burt, Ville Rusanen, Steven Tharp, Pieter Hendriks, Niels van Doesum), haben in ihrem „Anführer“ Bill (Mattijs van de Woerd) einen „Vorsänger“ mit eindrucksvoller Stimmkraft. Joseph Schlesingers Prinz Paul gewinnt durch seinen lyrisch-zurückhaltenden Counter-Tenor fast archaischen Charakter. Frances Bourne sing die 16jährige Liebhaberin Jane mit unverstellt klarer Stimme; Michael Kraus gibt dem chauvinistischen Unsymp Hogo kernig-brutalen Sprechgesang, und Fiona Kimm singt Janes Mutter mit sicherem Sopran.
Dabei zeichnen sich diese wunderbaren Sänger nicht nur durch exorbitantes Verständnis für divergierende musikalische Vorgaben aus – sie sind darstellerisch präsent, verkörpern die skurril-konstruierten „Figuren“ mit angemessener „Komik“ (bei Monty Python wären sie nicht ohne Chance!). Marcel Sijms phantasievoll wirbelnde Regie vermittelt diesen anhaltend-virulenten Eindruck postmoderner Pop-Ästhetik – schafft Bühnenhandeln in Abstimmung mit der Musik.
Marc Warnings Bühne greift mit einer Küchenzeile und Verweisen auf dahinterliegende „Welten“ die Text- und Musikvorgaben unspektakulär wirkungsvoll auf; Arno Bremers karikierende Kostüme geben vor allem dem exzellent spielfreudigen Chor viele Gelegenheiten für „malerische“ Auftritte.
In Eindhovens Parktheater – da gibt es nach gelungener Renovierung und multifunktionalem Anbau offenbar kommunalpolitischen Streit wegen der Kosten – versammelt sich ein zu großen Teilen junges, bislang opern-unerfahrenes Publikum, goutiert die Übertitelungen in Englisch und Niederländisch, hat Spaß an der krausen Geschichte mit den schrillen Figuren, versteht die komplex-vielfältige Musik als Ausdruck bizarren Lebensgefühls, ist lustvoll irritiert – und jubelt heftig am Schluss. (frs)
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