Hoffmanns Muse
Es ist ein zutiefst beglückender und nachdenkenswerter Abend im Düsseldorfer Opernhaus: Christof Loy fokussiert die so oft auf erotische Episoden reduzierte Hoffmann-Geschichte auf die existenzielle Beziehung zwischen dem nahezu autistischen Künstler und der leidenschaftlich um Liebe kämpfenden Muse: Ein hinreißendes Konzept, das in seiner intensiven szenischen Umsetzung Mit-Leiden erregt und tiefe Einblicke in die „Künstler-Seele“ vermittelt – auf dem Hintergrund konkreten „Backstage“-Nach-Erlebens. Des traumatisierten Hoffmanns Schicksal verläuft über das prosaische Theater-Backstage-Umfeld und die quälenden Phantasmagorien bis zur Apotheose der Kraft durch „Tränen“. Loy entwickelt faszinierendes Bühnenhandeln, charakterisiert „authentische“ Figuren, ermöglicht emotionale Verbindungen, inszeniert ein imaginatives Spiel um kulturelle Bedingungen – betont zugleich den kommunikativ fragmentarischen Charakter des Werks: kritische „Werktreue“ wird zum theatralen Stimulanz!
Herbert Murauer schafft ein fast dokumentarisches Bühnen-Backstage mit sterilen Räumen, im Giulietta-Akt den Bruch zu einer schwebenden Traumwelt, in dem sich brutale Kriminalität austobt.
Wen-Pi Chien leitet die blendend aufgelegten Düsseldorfer Symphoniker nach ruppigem Beginn zu phantasievollem Klang, interpretiert die Modi wechselnder Gefühle mit kongenialer Intensität, ist ein stimulierender Begleiter der Solisten auf der Bühne mit ihren so ästhimierenden Präsentationen. Eine Demonstration hochmotivierter musikalischer Interpretation!
Absoluter Höhepunkt: Das Finale mit seiner pathetischen Beschwörung der unfassbaren Hoffnung auf die „Erlösung“ durch die Macht der Tränen!!
Sami Luttinen gibt die „Bösewichter“ mit reservierter Darstellung, beeindruckt mit ausdrucksstarker Stimmkultur. Die drei Emanationen des Traumbilds Stella faszinieren durch ihre stupende Spielfreude mit bewegend-intensiven Rollen-Porträts: Olesya Golovneva mit perfekt bizarren Koloraturen als Olympia; Sylvia Hamvasi mit der stimmlichen Virtuosität des verzweifelten Leidens als Antonia; Alexandra von der Weth mit kapriziös-verschleierter Virtuosität als Giulietta. Michael Milanov überzeugt mit kerniger Artikulation als Luther und Crespel; Dmitri Vargin verleiht Hermann und Schlemihl nachhaltigen Eindruck; Markus Müller überzeugt trotz Indisposition als Nathaniel und Spalanzani; Florian Simson demonstriert seine beachtlichen stimmlichen Variationsmöglichkeiten u. a. als karikierender Frantz. Absolute stimmliche Glanzlichter dieser Legende werdenden Produktion der Deutschen Oper am Rhein: Sergej Khomov als getriebener Hoffmann mit agilem Tenor – souverän im Ausdruck der so extremen Emotionen, außerordentlich sicher in allen Lagen, bravourös in den Höhen, ausdrucksstark in der prägnanten Mittellage. Bewundernswert mit ihrer ungemein kraftvollen, hinreißend stimulierenden Stimme mit faszinierendem Timbre: Annette Seiltgen als permanent liebend-kämpfende Muse – eine unvergessliche Glanzleistung! Und der Chor: spielfreudig, ein ungemein variabel interpretierendes Kollektiv.
Im Düsseldorfer Opernhaus versammeln sich die kulinarisch orientierten Weihnachtsmarkt-Besucher und die afficionados dieses absoluten Highlights eines faszinierenden Musik-Theaters. Am Ende: Intensiver Applaus – der allerdings in seiner „Leidenschaft“ den großartigen Leistungen auf der Bühne und im Graben kaum gerecht wird.
Franz R. Stuke
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