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Fakten zur Aufführung 

DIE VERKAUFTE BRAUT
(Bedrich Smetana)
28. Dezember 2007
(Premiere: 15. Dezember 2007)

Theater Dortmund


Points of Honor                      

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Aufbrechen von Zwängen

Musikalisch ist man zunächst schockiert: Simon Rekers vermeidet mit den Dortmunder Philharmonikern jegliche Lyrik und Folklore, zu hören ist eine rau-unbehauene Ouvertüre. Der Vorhang öffnet sich – und zu sehen ist eine ebenso rau-hingeklotzte Häuser-Kulisse ohne Fenster, verschachtelt, sich öffnend zu unwirtlichen Räumen. Christian Rinkes konsequent handlungsbestimmende Bühne charakterisiert das Geschehen (wenn auch mit ein bisschen zuviel an Drehbühnen-Wirbel) – und Tatjana Ivschinas bäuerlich-kleinbürgerlichen Kostüme machen deutlich: Es geht um gesellschaftliche Zwänge, um das Leben in einem hermetisch abgeschlossenen „Dorf“, das aber schon den Keim der Auflösung in sich trägt.

Christine Mielitz geht es um tradiert-unbegriffenen Konformitätsdruck, um latente kollektive Aggressivität, um externe Profiteure – und um individuelle Strategien des Widerstands. Hans und Marie spielen da sehr unterschiedliche Rollen, Wenzel ist der naiv-räsonnierende outcast. Wie hoffnungsvoll, dass der brutal-ökonomische Kecal am Ende unterliegt, aber auch wie desillusionierend, dass am Ende der unbedarfte Wenzel zum Mittelpunkt der Szene wird – oder gibt gerade das die utopische Hoffnung auf eine neue Welt?

Die Dortmunder Philharmoniker entwickeln im Ablauf des kalkulierten Geschehens einen vielschichtigen Smetana-Klang, mit der so typischen Fülle von Melodien, Formen und Ausdrucksmöglichkeiten, mit den musikalischen Verweisen auf kollektiv-vermittelte Pseudo-Fröhlichkeit, auf gesellschaftlich erzwungenes individuelles Handeln, auf Sehnsüchte hinter diesen Verhältnissen. Da werden Regie, Szene, Musik, Gesang und Bühnenhandeln zur nachvollziehbaren „Botschaft“ – und wird auch deutlich, warum die Verkaufte Braut (1870) zur tschechischen „Nationaloper“ werden konnte!

Zwar verdrängen diese gesellschaftlichen Aspekte – und die Mielitz steht nun mal in der Abfolge Felsenstein-Herz-Kupfer an der Komischen Oper – die individuell-sentimentalen Vorgänge, doch belegen zahlreiche Details die Liebe zu den agierenden Menschen. Besonders bemerkenswert: die ausgesprochen liebevoll präsentierte Zirkus-Szene ohne platte Komik, dafür mit viel Sympathie für die authentisch-agierenden „Unterhalter“ in kritischen Zeiten.

Hannes Brock gibt den Direktor mit fast verzweifeltem Selbstbewusstsein; Julia Novikova – Gewinnerin des Publikumspreises beim weltweiten Wettbewerb New Voices – gibt der Esmeralda anrührenden Charakter. Peggy Steiner entspricht mit ihrem eher zurückhaltend, fast schreckhaft wirkenden ausdrucksstarken Sopran einer resolut-unsicheren Marie – so wie Timothy Richards mit seinem variabel-kraftvollem Tenor die latente Unsicherheit des outcasts übertönt. Bart Driessen fasziniert geradezu als asig-ausbeuterischer Agent Kecal, beeindruckt stimmlich mit pointierendem Ausdruck, vermittelt hoch differenziert den arrogant-überlegenen Profiteur. Und Tansel Akzeybek ist ein authentischer Wenzel – mit geradezu chaplinesker Bewegungs-Komik, stupender Mimik, aber auch mit verblüffender tenoraler Variations-Möglichkeit! Er wird eben nicht nur wegen seines erwachsen-tolpatschigen Knut zum Publikums-Liebling.

Das Dortmunder Ensemble besetzt alle Rollen ausgesprochen typisch, gibt den Rollen nachhaltig Stimme und engagiert sich hingebungsvoll – ebenso wie der vielbeschäftigte Chor (Granville Walker), der ausgesprochen spielfreudig agiert und wunderbar abgestimmt singt!

Das Dortmunder Publikum benötigt einige Zeit, um sich auf das eher unerwartete Geschehen einzustellen, erkennt im Laufe der Aufführung die nachdenkenswerten Aspekte – und dankt am Schluss mit bemerkenswert heftigem Applaus! (frs)

 

 




Fotos: Theater Dortmund