Der Hauch des Untergangs
Reduzierte Relikte der k.u.k.-Monarchie, lähmende Dekadenz: Ralf Nürnberger inszeniert und gestaltet mit ästhetisierender Distanz das Endspiel einer ignorant sterbenden Gesellschaft.
Ein tristes Cabaret, eine nostalgische Residenz – darin zwei Hoffnung, Enttäuschung, Glück spielende Paare.
Es dauert eine Weile, bis die Brechungen des Operetten-Plots beim Publikum „ankommen“; es gibt viel Getuschel im Auditorium, das sich bei den Buffo-Auftritten und den bekannten Melodien legt und entspanntem Interesse weicht.
Hartmut Brüsch leitet das Städtische Orchester Bremerhaven ohne ostentativen Operetten-Schmelz, lässt die wienerisch-ungarischen Weisen eher trocken klingen, dämpft die opulenten Klang-Kaskaden, ist erfolgreich bemüht, keine unangemessenen Emotionalitäten aufkommen zu lassen. Das Bremerhavener Ensemble macht eine außerordentlich gute Performance – darstellerisch und gesanglich!
Ein spielfreudiger Chor mit kollektiv-einprägsamem Singen (Leitung: Ilia Bilenko); eine bizarre Vierer-Tanzgruppe – exakt und lustvoll agierend (Choreografie: Sergei Vanaev). Und überzeugende Solisten: Lilli Wünscher ist eine elegante Erscheinung, gibt der Sylva Varescu kraftvoll-intensiven stimmlichen Charakter. Marco Vassalli gibt einen blasiert-schnöseligen Edwin mit variabler Stimme. Der Boni von Ziad Nehme ist ein Buffo par excellence: ein Filou mit nervendem „Uhngarrisch“ und prima tenoraler Leichtigkeit. Der niedlichen „Stasi“ vermittelt Pinelopi Argyropoulou naive Unbefangenheit mit heller Artikulation. Werner Kraus mimt routiniert den steuernden Maître de plaisir Feri bácsi.
Es ist sicherlich nicht abwegig, im ironisierten (Happy-)End einen Verweis auf „kommende Aufstände“ zu ahnen. Bremerhavens ambitionierte Bühne „entzaubert“ die Operette – erinnert an die subversiven Effekte des Genres: Die Csárdásfürstin wurde immerhin im November 1915 uraufgeführt – mitten im Untergang der k.u.k.-Monarchie!
Franz R. Stuke
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