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Fakten zur Aufführung 

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Lehár)
20. November 2005 (Premiere)

Bremer Theater

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Nostalgisches Aroma

Versteht man die Operette nicht nur als Sittengemälde ihrer Entstehungszeit, sondern gerade auch als Spiegelfläche für gesellschaftliche Stimmungen der jeweiligen Aufführungsepoche, so kann man die Neuproduktion von Lehárs „Lustiger Witwe“ am Bremer Theater in ihrer naiven Treuherzigkeit als einen Vorgriff auf die wertkonservativ touchierte und zukunftsscheu-sentimentale Gefühlskultur lesen, wie sie sich gegenwärtig herauskristallisiert. Das erotische Abenteuer, das anrüchig erscheinende Spiel mit den Emotionen anderer Menschen, Frivolität und Launenhaftigkeit spielen bei Regisseur Hellmuth Matiasek zu Gunsten einer nostalgischen Welt mit überaus liebenswürdigen Charakteren nur die zweite Geige.

Allein Dunja Simic als Hanna Glawari behauptet darstellerisch und vokal den Reiz des Mondänen, des faszinierend vieldeutigen Rätselwesens Frau, während Armin Kolarczyk (Danilo) von Anfang an ein aufrichtig-gradliniger, sympathischer Charmeur ist, zu dessen endgültiger Domestikation es für Hanna eigentlich aber nicht nötig gewesen wäre, gleich das ganze Maxim in ihr Palais bauen zu lassen. Ähnlich stellt Nadine Lehner eine einnehmend süße Valencienne vor, der man durchaus auch schon vor dem 3. Akt ihre Herkunft aus dem Grisettenmilieu anmerkt; weniger stark ausgeprägt ist dagegen bei ihrem Porträt einer Diplomatengattin die bezaubernde Lust an der Pflege der eigenen Psychoneurose. Als unbeholfen-sensiblen Schwärmer typisiert Benjamin Bruns ihren Verehrer Camille de Rosillon.

Um nicht missverstanden zu werden: Die neue Bremer „Witwe“ wird durch ihren traumvergessenen Inszenierungsrhythmus das Herz jedes empfindungsfähigen Zuschauers erobern: ein Volltreffer der hohen Kunst der leichten Muse mit ganz viel Sentiment und ausgelassenem Spielwitz, mit sehr aparten Kostümen und opulenten Tanzszenen. Eine enttäuschende Ausnahme bleibt da nur die choreographisch stiefmütterliche Behandlung des Chores durch Jacqueline Davenport.

Wenn im letzten Bild aus Hannas Domizil unversehens eine Bahnhofsarchitektur wird (Bühne: Werner Hutterli), nähert sich die Inszenierung einer Art „tragischen“ Operette an: Im Hintergrund sieht man Soldaten zu ihren Frontzügen eilen, derweil unter den aufbrechenden Protagonisten eine kalte, nervöse Unruhe um sich greift, in der alle gemütvolle Gefühlsseligkeit versinkt. Aus und vorbei, unwiederbringlich verloren ist die entzückende Welt der Müßiggänger und Flaneure. Schon durch das - ohne Valse-moderato-Peinlichkeiten zelebrierte - Liebesduett „Lippen schweigen“ schimmert eine wehmutsvolle Ahnung solcher Zukunft hindurch, und der Beginn des 2.Aktes gerät im Umfeld des Vilja-Liedes dank der wie in Trance versetzten Hanna von Dunja Simic zum melancholischen Abgesang auf die Schönheit eines weiten Landes namens Pontevedro - sicher der atmosphärische Höhepunkt des Abends.

Eine Klasse für sich bleibt Stefan Klingele, der mit großem Enthusiasmus die Bremer Philharmoniker zu einem ebenso kultivierten wie blühenden Spiel animiert mit geschmeidig hingetupften Begleitfiguren und delikat ausgekostetem Rankenwerk der instrumentalen Kantilenen. Die Zuschauer, von denen einige bei der Premiere gar zu Tränen gerührt gewesen sein sollen, revanchieren sich mit kräftigem Applaus. (ct)


Fotos: © Jörg Landsberg