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Der Zirkus herrscht, Kulturen gehen
zugrunde
Keine zwei Wochen nach dem großartigen Saisonauftakt mit Verdis Oper "Macbeth"
präsentiert die Bonner Oper in Zusammenarbeit mit dem internationalen
Bonner Beethovenfest eine Produktion der Oper Lulu von Alban Berg. Der
Schwerpunkt des diesjährigen Beethovenfestes liegt in der Konfrontation
von Werken der Wiener Klassik mit denen der neuen Wiener Schule.
Eine Aufführung der Oper Lulu scheint in diesem Zusammenhang besonders
sinnfällig, da sich Berg, trotz der dodekaphonen Kompositionstechnik,
mit musikalischen Formen dieser Epoche auseinandersetzt. In dieser Oper
findet man gewissermaßen eine Synthese zwischen musikalischer Tradition
und Moderne.
Diese Synthese ist auch das Motto dieser Aufführung. In seiner Inszenierung
spielt, wie die Vorlage von Frank Wedekind, mit verschiedenen Gattungen.
Anklänge an Operette, Zirkus, Revue und Groteske, stehen gleichberechtigt
neben Elementen der Tragödie und der großen Oper. Mit Hilfe dieser, auf
den ersten Blick zusammengewürfelt erscheinenden, Versatzstücken, schafft
es Schröter die Lulu spannend wie einen Krimi, blutrünstig wie einen Horrorfilm,
grausam wie eine Tragödie und süffisant wie eine Salonkomödie zu erzählen.
Dabei geht er sehr gründlich und sensibel vor und schafft es auch noch
der kleinsten, noch so unscheinbar erscheinenden Nebenrolle ein eigenes
Profil zu verleihen. Darin liegt die eigentliche Stärke seiner Regiearbeit.
Der Clou der Aufführung ist die Verwendung verschiedener Videoprojektionen:
Für das von Berg auch schon zur Uraufführung als Filmmusik konzipierte
symphonische Zwischenspiel für den 2. Akt findet Schröter sehr expressive
Bilder. Die Gesellschaftsszene des dritten Aktes wird dem Zuschauer ebenfalls
als Videoprojektion - diesmal allerdings im Foyer - vorgeführt, in der
sich die Bilder des Zwischenspieles mit dem der Gesellschaftsszene durchkreuzen
und ergänzen. Auch die psychologischen Tiefen der Oper leuchtet Schröter
sehr individuell aus: Je mehr die Figuren den geistig, moralischen Boden
der bürgerlichen Existenz unter den Füßen verlieren, desto mehr fangen
sie an sich ihren Trieben hinzugeben. Schröter unterstreicht diesen Prozess,
indem er an den Zirkus gemahnende Elemente mit diesem Prozess in eine
enge Beziehung setzt.
Als ein szenisches Leitmotiv lässt er in unregelmäßigen Abständen eine
Schar von Zirkusathleten über die Bühne turnen, die mit dem Chaospotential
der Marx-Brothers Dekorationen verschieben, Requisiten abstellen etc.
Der Handlungsverlauf wird so mit der Willkür dieser Chaotentruppe verknüpft.
Lulu selbst erscheint hier nicht als naive Kindfrau, oder als Männer mordender
Vamp, sondern viel eher als eine (mord-)lustige Witwe, oder eine fehlgeleitete
Zirkusprinzessin, deren Gefährlichkeit gerade in ihrer Unberechenbarkeit
liegt und nicht in einer aufgesetzten Attitüde.
Musikalisch lässt diese Aufführung nun wirklich keine Wünsche offen. Eine
klangschönere, leichtfüßigere und plastischere Lulu hat man selten gehört.
Roman Kofman arbeitet die klanglichen Finessen dieser sehr komplexen Partitur
eindrucksvoll heraus. Dabei versteht er es die Schärfen und die Schönheiten
dieser Oper gleichermaßen zu modellieren.
Auch das Sängerensemble ist von einer außerordentlichen Qualität. Anat
Efraty ist als Lulu von einer unglaublichen physischen Präsenz und meistert
die sehr anspruchsvolle Partie mit unglaublichen Leichtigkeit und Mühelosigkeit.
Hanna Schwarz zeichnet eine charismatische Gräfin Geschwitz, die sich
- auch noch im Moment des tiefsten Abstiegs - einen Hauch von Noblesse
bewahrt. Der Rest des Ensembles war musikalisch wie darstellerisch ebenfalls
auf sehr hohem Niveau. (tk) |
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