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Fakten zur Aufführung 

IRRELOHE
(Franz Schreker)
7. November 2010 (Premiere)

Theater Bonn


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Operntheater mit allen Unwahrscheinlichkeiten

In den letzten Jahren haben sich am Bonner Opernhaus Werke der zwanziger Jahre zu einem bewundernswert kontinuierlichen Programmschwerpunkt entwickelt. Es sind selten gespielte Stücke wie Korngolds Die tote Stadt (UA 1920), Szymanowskis Kròl Roger (UA 1926), D'Alberts Der Golem (UA 1926) oder Hindemiths Cardillac (UA 1926). Das neueste Opus in diesem Kontext ist Irrelohe von Franz Schreker. Wie Die tote Stadt wurde Irrelohe in Köln unter Otto Klemperer uraufgeführt - etwa vier Jahre später als diese - am 27. März 1924. Komponiert wurde das Stück in den Jahren 1919 bis 1922 und markiert, trotz des anfänglichen Erfolges, den Anfang vom Ende der Karriere des einst so populären Schreker.

Die Stärke der Bonner Produktion ist von Anfang an die musikalische Seite. GMD Stefan Blunier ist hier offenbar ein Überzeugungstäter, der das groß besetzte Beethoven Orchester Bonn zu ungeahnten Höhenflügen führt. Die Interpretation lotet die extremen Dynamikunterschiede vom kaum hörbaren Piano bis zu heftigen Fortissimoausbrüchen effektvoll aus. Bewundernswert ausmusiziert – bei geschlossenem Vorhang – die orchestralen Vorspiele und Übergangsmusiken (Vorbild: Debussys Pelléas et Mélisande). Blunier verfügt über ein exzellentes Sensorium für den Schrekerschen Sound, für dessen schillernd glänzende Palette der Orchesterfarben. Die melodie- und harmoniegesättigte Partitur vereinigt raffiniert Spätromantik mit frühen Modernemomenten, Konsonanz und Dissonanz vereinend, hat deutliche Tendenzen auch zur Filmmusik. Theodor W. Adorno hat in einem Radiovortrag für den Hessischen Rundfunk 1959 diese Tendenz zur Sphäre der U-Musik für das fast schlagartige Vergessen des einst berühmten Komponisten verantwortlich gemacht: Die Fermente seines Klanges seien allesamt vollständig von der Unterhaltungsmusik absorbiert worden.

Die Handlung der dreiaktigen Oper ist so wüst wie monströs. Entstanden in der ersten Welle der Weininger- und Freud-Exegese zeigt sie vornehmlich triebgesteuerte, wenig sublimierte Charaktere. Dabei ist die Sprache des selbst verfertigten Librettos problematisch, die 'Geschmacklosigkeit seiner Texte' des öfteren bemängelt worden – all das mindert aber nicht die Theaterwirksamkeit seiner Werke: Auf dem Adelsgeschlecht derer von Irrelohe lastet ein Fluch. Die männliche Linie ist dazu verdammt, einmal im Leben eine Frau zu vergewaltigen. So wurde Peter gezeugt, als der Vater des aktuell die Burg Irrelohe bewohnenden Grafen Heinrich die schöne Schankwirtin Lola am Tage seiner Hochzeit überwältigte. Die versammelte Dorfgemeinschaft, passiv und schicksalsergeben, sah dabei zu, wie man dem verbrecherischen Treiben der Grafen immer schon zugesehen hatte. Einzig Christobald, der Violonist einer Musikantentruppe und damaliger Geliebter Lolas kann sich dieses schmähliche Versagen nicht verzeihen und legt als feuriger Racheengel jährlich zum Jahrestag des Verbrechens Brände im Dorf. Der Rachetrieb ist ihm nun einziger Lebensinhalt geworden, die Beziehung zu Lola scheint keine Bedeutung mehr zu haben. Zum 30. Jahrestag plant er nun den großen Coup: Mit dem Anzünden des Schlosses Irrelohe will er dem fluchbeladenen Adelsgeschlecht den Garaus machen. Christobald ist es auch, der Peter über seine illegitime Herkunft informiert, worüber dieser zeitlebens im Unklaren gelassen wurde und was ihn auch zu einem Outcast im Dorfe gemacht hatte, ohne dass er so richtig wusste, warum. Peter ist in die Försterstochter Eva verliebt, die ihn zwar auch mag, aber auf einer geringeren Intensitätsstufe. Auf Eva hat es auch Graf Heinrich abgesehen. Eva erwidert dessen Liebe und kann damit den Fluch auf dem Geschlecht der Irrelohes unterlaufen, sodass es nicht zur Vergewaltigung kommt. Graf Heinrich ist gerührt und macht Eva einen Heiratsantrag. Am Tag der Hochzeit erweist es sich aber, dass der Fluch auch auf dem unehelichen Peter lastet. Als er versucht, sich Eva zu bemächtigen, wird er von seinem Halbbruder Graf Heinrich getötet. Die Burg geht in Flammen auf und, befreit von der Vergangenheit, blicken Eva und Heinrich einer neuen, gemeinsamen Zukunft entgegen.

Die Inszenierung des Bonner Generalintendanten Klaus Weise hat für das Stück eine weitgehend schlüssige, aber keine unbedingt zwingende, klärende oder wegweisende Lösung gefunden. Er lokalisiert die Handlung irgendwo in einem Dorf 'im Osten', Mitte des 20. Jahrhunderts, an dem die Zeitläufte weitgehend vorübergegangen sind. Trotzdem sind einige alte und klapprige Lastwagen vorbeigekommen und haben auf einem Parkplatz mit 'leichten Mädchen' vor der Kneipe von Lola gestoppt. (Bühnenbild: Martin Kukulies). Man sieht durch das Innere von Lolas Etablissement auf den Platz. Gegenüber noch eine Schlachterei, deren blutbeschmierte Mitarbeiter bei Lola zu Gast sind - Eros und Thanatos grüßen so gleich zu Beginn. Später erscheint wirkungsvoll die hoch aufragende düstere Kulisse des Schlosses Irrelohe im Hintergrund. Die Lastwagen dominieren auch im zweiten Aufzug die Szene am Kreuzweg. Graf Heinrich gibt sich dann auch als Autoliebhaber zu erkennen, der stolz ein schickes Talbot Cabrio sein Eigen nennt und es sogar im Salon ausstellt, wo es beim Liebesduett zwischen Eva und Heinrich zum Zentrum der Oper wird. Massenszenen dann im dritten Aufzug, Chor und Extrachor, Unmengen Statisten sorgen bei der Hochzeit der beiden für drangvollen Auftrieb auf der Bühne. Die dekorative Wirkung des finalen Schlossbrandes wurde schon in den Uraufführungsrezensionen gerühmt, und auch in Bonn wird er mit allen Mitteln der Pyro- und Bühnentechnik effektvoll inszeniert.

Die Besetzung ist ganz ausgezeichnet. Trotz des üppig blühenden Orchestersounds hat Blunier auch ein Herz für die Sänger, sodass die Textverständlichkeit eigentlich immer gegeben ist, in Zweifelsfällen hilft dann die neue Übertitelungsanlage: Daniela Denschlag ist eine souveräne Lola, Mark Morouse verleiht Peter eine fast wozzeckhafte Verstörtheit. Bravourös in den Mammutpartien Roman Sadnik ist als Graf Heinrich und Ingeborg Greiner als Eva. Christobald, als musizierender Rächer die Handlung mit 'elementarer' Kraft vorantreibend, findet eine überzeugende Verkörperung in Mark Rosenthal. Fünkchen (Valentin Jar), Strahlbusch (Piotr Micinski) und Ratzekahl (Ramaz Chikviladze) geben ihr Terzett leicht überdreht. Auch das Bonner Premierenpublikum ist bestens aufgelegt und gleich voller Enthusiasmus, heftige Ovationen schon nach dem ersten Aufzug. So trifft es sich, dass das Label Dabringhaus und Grimm die Aufführung für die Nachwelt für eine CD-Produktion mitgeschnitten hat.

Dirk Ufermann

 











Fotos: © Thilo Beu