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Pathos, Hirschgeweih und Schuhplattler
In der heutigen Zeit barocke Werke für den Spielplan wiederzubeleben,
ist sicherlich eine faszinierende Sache: man sucht die Auseinandersetzung
mit einer musikdramatischen Erzähl- und Musizierweise einer längst vergangenen
Zeit. Das zentrale Anliegen der Tragédie Lyrique war die Reflektion der
sozialen und menschlichen Werte des 18. Jahrhunderts. Es wurde in erster
Linie der Verhaltens- und Tugendcodex der Trägerschicht der Gattung reflektiert.
Die Tragédie Lyrique ist sinnliches Theaterspektakel, unter Aufbietung
aller musikalischen und theatralischen Effekte. Diese Aspekte sollten
bei einer Aufführung berücksichtigt werden, um einem solchen Werk gerecht
zu werden.
Die musikalische Seite der Aufführung ist äußerst gelungen. Sie besticht
in erster Linie durch ein klangschönes, nie aber akademisch "barock" musizierendes
Orchester. Attilio Cremonesi musiziert die Partitur engagiert, präzise
und mit Liebe zum Detail. Er vermag der schon von Rameaus Zeitgenossen
als zu gelehrsam empfundener Musik manch leidenschaftliche Geste zu entlocken.
Das Solistenensemble ergänzte diesen klanglichen Eindruck auf beeindruckende
Weise.
Leider entsprach die Umsetzung auf der Bühne nicht immer der musikalischen
Qualität der Aufführung. Das Bühnenbild (Bernhard Kleber) war ein Raum
mit variablen Wänden, die mit Hirschgeweihtapeten versehen waren. Die
Kostüme (Mechthild Seipel) vereinten barocke Elemente (gepuderte Perücken,
Reifröcke etc.) mit zeitgenössischen Versatzstücken (Militäruniformen,
Jeans, Krachlederhosen).
Die Regisseurin (Karoline Gruber) legt ihr Hauptaugenmerk auf die Liebesbeziehung
zwischen Iphisine und Dardanus, deren Verlauf sie sensibel nachgeht, ihm
manisch-depressive und bisweilen sogar autoaggressive Züge verleiht. Hier
ergänzen sich Musik und Szene in idealer Weise, und die Szenen zwischen
Iphisine und Dardanus gehören zu dem Schönsten, was die Aufführung zu
bieten hat.
Eric Laporte bewältigte die sehr hoch gelegene Titelpartie des Dardanus
mühelos und mit Bravour. Mit Mut zum Risiko gestaltete er die lyrischen
Töne und die emotionalen Ausbrüche dieser anspruchsvollen Partie. Sabine
Ritterbusch zeichnete ein packendes Rollenportrait einer Frau, zwischen
Liebe und Gehorsam. Ansonsten taumelte die Inszenierung zwischen bayerischem
Komödiantenstadel und Medienposse. Revueartig diese verschiedene Elemente
aneinandergereiht: so erscheint der Zauberer Isménor (Andrej Telegin)
als ultimative Mischung aus Lilo Wanders und Dame Edna.
Leider scheitern diese Szenen an mangelnder Doppelbödigkeit und darstellerischem
Raffinement. Die Behandlung der Ballette (Choreographie: Christian Camus)
erscheint ebenfalls gewöhnungsbedürftig. Die ironische Verfremdung durch
Elemente aus dem Volkstanz (Schuhplattler) wirkt deplaciert und beraubt
die in der Oper geschilderte Gesellschaft ihrer Glaubwürdigkeit, trotz
der sehr guten und präzisen Ausführung durch den Opernchor.
Der sehr kurzweilige Abend hinterlässt, aufgrund der zusammenhangslosen
Aneinanderreihung verschiedener Elemente, einen faden Beigeschmack. (tk) |
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