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Fakten zur Aufführung 

DER WILDSCHÜTZ
(Albert Lortzing)
6. Juni 2010
(Premiere: 22. Mai 2010)

Theater Bielefeld


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Zwischen Komödie und sozialkritischer Satire

Viel zu selten findet sich dieses Werk mittlerweile auf den Spielplänen der deutschen Opernhäuser, obwohl es doch zu den besten Arbeiten von Albert Lortzing gehört: der Wildschütz, den Lortzing nach einer Vorlage von August von Kotzebue (Der Rehbock oder Die schuldlosen Schuldbewussten) komponierte.

Zugegeben wirkt das Libretto etwas konstruiert, wenn man liest, dass die Schwester des Grafen von Eberbach zunächst als Student, dann als junges Bauernmädel verkleidet sich in den Stallmeister des Grafen verliebt, der wiederum der unbekannte Bruder der Gräfin ist, die sich wiederum zu diesem jungen Mann hingezogen fühlt, während der Graf der ihm unbekannten Schwester den Hof macht. Ins Rollen wird dieses Karussell der Adeligen aber erst durch den Schuss des Schulmeisters Baculus gebracht, der im Wald des Grafen wildert, um auf seiner Hochzeit mit dem jungen Gretchen ein Stück Fleisch anzubieten. Dieser Fehltritt wird mit Rauswurf bestraft und jetzt sucht Baculus einen Weg, um bei seinem Herrn Gnade zu erwirken.

Dem Theater Bielefeld gelang jetzt das Kunststück, dieses bitterböse Lustspiel, das zwischen Komödie und sozialkritischer Satire liegt, brillant auf die Bühne zu bringen. Daran hat die Inszenierung von Wolf-Dietrich Sprenger großen Anteil, der das Stück nicht nur als Posse inszeniert, sondern auch zwischen dessen Zeilen liest. Im ersten Akt beobachtet der angetrunkene und gelangweilte Chor auf der quietschgrünen (Wiesen-)Bühne von Achim Römer das nicht wirklich glücklich erscheinende Brautpaar Baculus und Gretchen. Auch wenn in der ersten Hälfte noch die (Situations-)Komik überwiegt, lassen die verkehrt herum aus der Bühnendecke wachsenden Tannen darauf schließen, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zu geht.

Der Graf marschiert mit seinem Jagdgefolge wie aus der Wolfsschlucht herauf und zeigt sehr schnell sein Ego, wenn er seelenruhig in die Ecke uriniert.

Das kalte Weiß des gräflichen Hauses mit Hirschköpfen an den Wänden und griechischem Antlitz im Hintergrund kann nicht über die Verkommenheit der Bewohner hinwegtäuschen. Und der Graf sowie der Baron machen auch ziemliches Theater, um sich dem unbekannten Mädchen nähern zu können. Wo früher noch im Billard-Streit der Kronleuchter von der Decke geholt wurde, da macht der Graf heute einfach nur noch für seine Zwecke das Licht aus. Und wenn das Gewitter das Bauernmädchen zum Bleiben im gräflichen Hause zwingt, dann senkt sich ein großer kitschiger roter Blitz von der Decke.

Dieses Theater entlarvt der Regisseur selbst im dritten Akt, der im heruntergekommen Atelier des Grafen spielt. Dessen Wände sind mit eisigen Berghängen bemalt und die Requisiten der vorigen Akte gammeln zwischen Maler-Planen in der Ecke herum. Die Show zwischen Fitness-Training und Morgen-Wäsche, die der Adelige zu seiner Arie absolviert, ist eindrucksvoll für die Öffentlichkeit einstudiert. Sein körperbetonter Flirt mit minderjährigen Mädchen (bei dem auch der Baron allzu leicht mitmischt) verrät da mindestens genauso so viel über den wahren Charakter wie der fast gewaltsame Übergriff auf seine Schwester, die jetzt ihre Maske fallen lassen muss.

Wenn sich Geschwister- und Liebespaare voneinander abheben und die Schuldbewussten ihre Vergehen musikalisch harmonisch als Unschuld darstellen, geht auch das Licht im Zuschauerraum an und für einen Augenblick ist der Witz dieses Musikantenstadls vergessen. Auch das Finale, wo jeder die „Stimme der Natur“ als Verteidigung und Entschuldigung zugleich anführt, endet trotz bemühter Heiterkeit doch trist, wenn Landvolk und Adelige plötzlich im drohendem Gewitter stehen.

Die herausgearbeitete Doppelbödigkeit tragen die Sänger vor allem auch sprachlich deutlich mit, so dass das Stück keinen Augenblick seinen Witz verliert. In Bielefeld zeigte sich die Besetzung als echtes Ensemble, wo jeder seine kleinen Meriten hat, aber wo vor allem die musikalische Begeisterung überwiegt: Jacek Janiszewski (Baculus) und Cornelie Isenbürger (Gretchen) spielten das Buffo-Paar aus der Unterschicht detailliert aus, Melanie Kreuter (Baronin Freimann) und Eric Laporte (mit frei ausschwingendem Tenor) konnten das Publikum genau so begeistern wie der arrogante Graf von Meik Schwalm und die immer um adelige Größe bemühte Gräfin von Sünne Peters.

Vollendet wurde das große Glück durch die Leistung im Orchestergraben. Auch wenn man der Form halber einige Unsauberkeiten bei den Streichern (übrigens auch bei den Sängern) erwähnen muss, so wuchs die musikalische Interpretation doch weit über die Standard-Begleitung bei Lortzing hinaus. Als Paradebeispiel muss das Finale des ersten Aktes genannt werden. Selten hat man es so dynamisch ausgekostet gehört wie an diesem Abend. Unter der Leitung von Christian van den Berg-Bremer setzte das Orchester markante Akzente.

Das Publikum in Bielefeld reagierte schon mit spontanem Zwischenapplaus sehr genau auf den feinen Witz des Werkes und beklatschte am Ende die Beteiligten ausgiebig, wenn auch nicht so enthusiastisch wie verdient.

Vielleicht nehmen sich andere Theater ein Beispiel an dieser Leistung und besinnen sich bei ihrer Spielplan-Erarbeitung auch auf die Werke Lortzings, die auf keinen Fall in Vergessenheit geraten dürfen. Für die nächste Saison hat ist er immerhin als Wiederaufnahme in Bielefeld eingeplant.

Christoph Broermann









 
Fotos: Matthias Stutte