Befindlichkeiten, deutsch
Rilkes „Cornet“ war für viele - „Idealisten“? -so etwas wie „Erbauungsliteratur“ in den Grauen der Weltkriege. Viktor Ullmann („Der Kaiser von Atlantis“, „Der Sturz des Antichrist“) hat 1942 im KZ Theresienstadt diesen fast mythischen Text als Melodram vertont - also gewiss nicht als Hymnus auf die kathartische Kraft des Krieges.
Im intimen Bielefelder Opernstudio werden die Visionen von Liebe, Bewährung und Vernichtung eines Soldaten des 17. Jahrhunderts von einem Obdachlosen in zerrütteter Uniformjacke vorgetragen. Ulrich Neuweiler geht in der Rolle auf, agiert mit hohem situativen Einfühlungsvermögen, vermag sowohl den raunenden Grund-Duktus als auch die reflektierenden Passagen adäquat zu artikulieren.
Dieser suggestive Sprachrhythmus korrespondiert mit Ullmanns Klavierkomposition, die sich auf Zemlinsky-Prinzipien bezieht, sich eher als Programm-Musik versteht als musikalisch zu experimentieren. Eberhard Fritsche lässt mit sensiblem Spiel die existentielle Gratwanderung Ullmanns geradezu provozierend hörbar werden.
Birgit Kronshage schafft mit sparsamen Requisiten einen optimalen (Selbst-) Kommunikationsraum, in dem Rilkes suggerierte mythische Vorstellungen vom Großen Schlaf, von der Verlorenheit im Krieg, von der vergeblichen Suche nach konkreten Hoffnungen ihre angedeutete Entsprechung finden.
Das hochkonzentrierte Publikum lässt sich auf diese Zeitreise in deutsche Befindlichkeiten mit ihren irrationalen Ambivalenzen ein und akzeptiert die Stunde der Nachdenklichkeit als theatral-kommunikatives Angebot. (frs)
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