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Fakten zur Aufführung 

TRISTAN UND ISOLDE
(Richard Wagner)
19. Mai 2008 (Premiere)

Theater Bielefeld


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Tödliche Reise

Per Schiff nach Cornwall – eine projizierte breite Heckwelle demonstriert das Lastende der Reise; am Horizont tauchen Heißluft-Ballons auf, in einem von ihnen wollen Isolde und Tristan in den „Himmel des Glücks“ entschweben – doch Brangäne hält ihn am Boden. Die Begegnung der Liebenden geschieht im Ballon-Innern. Kareol wird ins Nordmeer verlegt – Kurwenal und Tristan sind mit ihrem Ballon im tödlichen Eis gestrandet. Nicholas Broadhursts Metapher zielt auf die Ambivalenz von Glückssuche und selbstverantwortetem Scheitern, fokussiert den „Erlösungsmythos“ auf spontanes menschliches Handeln mit allen Irritationen – und lässt als Symbol spiritueller Hoffnung die Seelen als Luftballons gen Himmel aufsteigen.

Die phantasievoll-sachkundig eingesetzten Ballonfahrtgeräte, imaginierende Meeresprojektionen schaffen dichte Atmosphäre; Timo Dentlers Bühne schafft assoziationsreiche Räume. Okarina Peter entwirft situationsgerechte Kostüme – für die Seereise, für die Ballonfahrt, für den Aufenthalt im ewigen Eis; Marke und seine Leute stecken allerdings in operettösen hellgrau-orangefarbenen Uniformen wie unernste Praliné-Soldaten.

Inszenierungsidee, Bühnenhandeln und konsequentes Bild sind die besten Voraussetzungen für eine spektakulär-innovative Tristan-Interpretation. Doch entsteht die Aufführungskrise durch einen total indisponierten Jürgen Müller, durchaus erfahren als Wagner-Sänger u.a. in Mielitz-Produktionen – er wird in der Pause zum dritten Akt medizinisch behandelt, kämpft sich durch die mörderische Gesangspartie, bleibt mit stoßweisem Singen aber nur wegen der Rolle des todkranken Tristan glaubhaft. Die ebenso Wagner-erprobte Turid Karlsen ist offenbar an einer Elsa-Isolde orientiert, demonstriert ihre hell-flexible Stimme mit emotionalem Ausdruck, verzichtet aber auf letzte Dramatik und blendet die ekstatische Todesleidenschaft aus. Stimmliche Schwergewichte sind Alexander Marco-Buhrmester als ambivalenter Kurwenal – kruder Macho im ersten Akt, besorgter Freund im Schlussakt; stimmlich hoch präsent, phänomenal durchsetzungsfähig mit stupender Ausstrahlung. Jacek Janiszewski gibt dem Marke hoheitsvolle Statur, setzt das eindrucksvolle Timbre seiner Stimme balsamisch ein. Michael Bachtadze nutzt die kurzen Auftritte Melots mit kraftvoller Artikulation. Mit Susanne Reinhard ist eine verzweifelt liebevolle Brangäne zu erleben, die sowohl den Liebestrank auswählt, als auch die moralischen Werte verkörpert – ein ungemein differenziertes Rollen-Verständnis, getragen von einem klangschön-variablen Mezzo. Für Florian Mock als Hirt und Ramon Riemarzik als Steuermann liegen die stimmlichen Anforderungen wohl noch zu hoch.

Peter Kuhn geht mit den Bielefelder Philharmonikern die Ouvertüre äußerst gefühlvoll an, lässt sich auf die so diffizilen Anforderungen in Dynamik und Tempo ein - setzt dann aber auf penetrante Lautstärke – unterbrochen durch Instrumentensoli – berücksichtigt nicht die empfindliche Akustik des Hauses und ignoriert die Balance zwischen Graben und Bühne; es wird kein berührendes Tristan-Verständnis hörbar, vielmehr werden als überwunden geglaubte Konventionen bedient.

Im vollbesetzten Bielefelder Haus sitzen viele Wagner-Novizen; entsprechend die Reaktionen mit zwischendrin tuschelnden Pärchen – und Bravos für das Orchester und unangemessenen Buhs für das Regie-Team (übrigens nicht von erfahrenen Wagnerianern!). Bleibt zu hoffen, dass Intendant Michael Heicks genügend Kraft aufbringt, seine Vorstellungen eines kraftvoll-innovativen Musiktheaters in Ostwestfalen weiterhin durchzusetzen. Allein das überzeugte Publikum kann dabei helfen – und die nicht kalkulierbare Fortune! (frs)
 












Fotos: Philipp Ottendörfer