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Soziodrama
Véronique Olmis Blick in die verzweifelt-hilflose Psyche der finanziell,
sozial, zwischenmenschlich überforderten Mutter wird im intimen Raum des
TAMoben in Bielefeld zu einem sprachlos machenden Melodram.
Gilla Cremer spricht, schreit, raunt - interpretiert nuanciert existentielle
Empfingen zwischen Empfindsamkeit und Euphorie sowie Hysterie und todbringender
Verzweiflung, weckt intensivstes Mitleiden am hoffnungslosen Suchen nach
dem kleinen Glück und dem Erschrecken über die finale Tat: die wahnsinnige
Tötung ihrer Kinder, mit denen sie das Meer als Erfüllung der Sehnsucht
nach ein wenig Freiheit sehen wollte.
Patrick Cybinski kommerziert am Cello mit diesem emotionalen Text, nutzt
alle Möglichkeiten unkonventionellen Cello-Spiels: intoniert am Holz,
zupft, klopft die Saiten und streicht in lyrisch-gesanglichen Passagen.
Charlie Chaplins Cello-Philosophie hat einen kongenialen Erben.
Michael Heicks lässt der stupenden Gilla Cremer Raum für sparsame, aber
eruptive Bewegungen, setzt auf die dramatische Kraft der emotionalen Sprache.
Die Bühne ist leer, Cellist und Sprecherin vor sensibel lichtvariierter
Blauwand stehen im Focus der Aufmerksamkeit.
Ausverkauft das TAM in Bielefeld, atemloses Verfolgen des Melodrams, betroffenes
Schweigen am Ende: der Beifall brandet auf nach langem Schweigen. Bielefelds
Theater beweist die Relevanz der These Chaplins: "Wir denken zuviel und
fühlen zuwenig. Dringender als Technik bedürfen wir der Menschlichkeit."
Das Melodram erlebt eine Renaissance. (frs) |
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