Melodram: Empfindsam
Georg Anton Benda ist als langjähriger Hofkapellmeister zu Gotha in die Musikgeschichte eingegangen, dabei gilt sein Engagement für das Melodram als stilbildend. Vor allem die „Medea“ (neben einer viel gespielten „Ariadne“) hat als Ausdruck des Zeitgefühls der „Empfindsamkeit“ (1775) überlebt.
Peter Kuhn übernimmt mit den Bielefelder Philharmonikern den historischen approach und erreicht mit „empfindsamem“ Spiel den Nerv heutiger Erwartungen. Die kalkulierte melodramatische Form lässt Reflexionen, Reminiszenzen, Kontraste, Aggressionen, Kommentierungen hörbar werden, das Orchester interpretiert gefühlvoll die Wahnsinns-Qualen der Medea, lässt intensive piani ineinander übergehen, bleibt auch in den sensiblen crescendi zurückhaltend – erzählt die Gefühlseruptionen Medeas in geduldigem Duktus. Die Schwierigkeiten der Partitur liegen sicherlich im ständigen Unterbrechen, in immer neuem Ansetzen. Und das gelingt den Bielefelder Philharmonikern mit Bravour.
Isabel Hindersin spricht den vom Sturm und Drang geprägten Text von Friedrich Wilhelm Gotter mit bemerkenswert cooler Ausstrahlung. Da fühlt man sich eher an Reports aus dem Promi-Leben erinnert als an archetypische Wahnsinns-Ausbrüche der griechischen Katharsis-Heroine. Die schlanke Gestalt reduziert ihre Gefühle auf rituale Gesten – der Furor des Wahnsinns bleibt aus, und damit die impressive Konfrontation mit dem beschwichtigenden Gestus der Benda-Musik. Dennoch: ein überzeugendes Dokument für die Chancen eines zu Unrecht vergessenen Genres.
Das Bielefelder Konzertpublikum feiert die gelungene Präsentation mit ostwestfälischer Leidenschaft: fünf „Vorhänge“, Trampeln, positive Kommentare zur Pause. Zu ergänzen: Der Konzertabend beginnt mit einer hochklassigen Leonoren-Ouvertüre Nr. 2 und endet mit einer eindrucksvollen 2. Symphonie Beethovens. Bendas Melodram wird dramaturgisch perfekt gerahmt! (frs)
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